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Das Camp

Titel: Das Camp Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Tondern
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noch, die ganz normale Welt, die für ihn so selbstverständlich gewesen war, dass er sie gar nicht mehr wahrgenommen hatte.
    Ein Fausthieb traf ihn in den Rücken. »Kopf runter! Und Hände auf den Rücken.«
    Die Vorzimmerdame zeigte auf eine Tür. »Sie können gleich durchgehen. Der Chef wartet schon.«
    Der Chef war ein braun gebrannter Mann in einem frisch gebügelten weißen Hemd, der sich über einen riesigen Konferenztisch beugte, auf dem ausgerollte große Bögen lagen. Er war älter als Luks Vater, viel älter, aber er wirkte trotz seines fast kahlen Schädels wie ein kleiner Junge, der mit seiner Modelleisenbahn spielt. Es dauerte eine Weile, bis er Luk überhaupt bemerkte.
    »Ah, Lukas, nehme ich an.« Er wollte Luk die Hand geben, zögerte dann jedoch und unterließ es. Er ging zu seinem Drehsessel, über dessen Rückenlehne sein Jackett hing, und griff nach dem Klemmbrett, das auf dem Schreibtisch lag.
    Luk nahm das alles nur aus den Augenwinkeln wahr. Mit gesenktem Kopf stand er dicht an der Tür.
    » Warum bist du hier? «, las der Chef vor. » Weil mein Anwalt nicht funktioniert hat. Köstlich!« Er lachte laut heraus. »So was kriegt man hier nicht jeden Tag zu sehen. Ich darf doch Du sagen?«
    »Klar.« Luk hatte den Kopf gehoben, nahm ihn aber schnell wieder runter. Er hatte keine Lust, noch mal eine Faust in den Rücken zu bekommen. Der Chef zeigte auf den Sessel vor seinem Schreibtisch, zögerte dann jedoch. »Vielleicht nimmst du dir doch besser einen der Klappstühle dort drüben.«
    Erst als Luk einen der drei schwarzen Holzklappstühle
holte, die neben der Tür an der Wand lehnten, merkte er, dass sein Betreuer draußen geblieben war. Er war ganz allein mit dem Chef.
    »Wirklich köstlich«, wiederholte der Chef. » Weil mein Anwalt nicht funktioniert hat. « Er musterte Luk neugierig. »Du passt überhaupt nicht hierher.«
    Du auch nicht, dachte Luk. Jedenfalls hatte er sich den Boss einer solchen Einrichtung nicht als smarten Mittfünfziger vorgestellt, mit randloser Designerbrille und netten Lachfalten in den Augenwinkeln. Im Fernsehen sahen so die Typen für die Rolle des sympathischen Chefarztes aus, der nebenbei noch erfolgreich mit Aktien und zeitgenössischer Kunst spekuliert.
    »Na, hoffentlich kommst du hier nicht unter die Räder. Du wirst dich anstrengen müssen.«
    »Klar«, sagte Luk.
    Das Telefon klingelte.
    Der Chef schob Luk das Klemmbrett über den Schreibtisch zu. Dann griff er nach dem Hörer, nahm aber noch nicht ab. »Am besten fängst du gleich damit an.«
    »Womit?«
    »Mit dem Anstrengen.« Er lächelte immer noch. »Lass dir draußen Papier geben und schreib dein Sündenregister auf. Du musst dich öffnen. Wie sollen wir dir sonst helfen?« Er nahm den Hörer ab. »Ja, hallo«, sagte er.
    Luk wartete. Er dachte, das Gespräch sei noch nicht zu Ende. Aber der Chef scheuchte ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung aus dem Raum.

8
    Draußen wurden Befehle gebrüllt. Dann grölten sie wieder ihren Gesang, der sich schnell entfernte.Wahrscheinlich rannten sie beim Singen. Wieder war also eine Nacht vorüber.
    Anderthalb Tage waren seit dem seltsamen Gespräch mit dem Chef jetzt vergangen. Luk hatte fest damit gerechnet, dass sie ihm wenigstens etwas zu essen geben würden. Aber er hatte nichts bekommen. Zweimal hatten sie ihm eine Flasche Wasser reingestellt.
    Seit drei oder vier Tagen hatte er nichts gegessen und kaum was getrunken. Anscheinend war das die Methode, mit der sie neue Leute kleinkriegen wollten.
    Er sah auf das Schreibmaschinenpapier, das neben der Tür auf dem Boden lag. Gleich einen ganzen Stapel hatte ihm die Vorzimmerdame gegeben. Sollte das eine Anspielung sein? Wollten sie ihm damit sagen, dass sie Bescheid wussten über ihn? Dass er eine ganze Menge auf dem Kerbholz hatte?
    Oder gehörte das zu ihren Psycho-Tricks? Machten sie das mit jedem so, der ihnen in die Hände fiel?
    Irgendwas drehte sich da in seinem Kopf. Hatte er das nicht schon mal gedacht? Viele Male sogar. Anscheinend baute er immer mehr ab. Sein Hals tat ihm weh. Er konnte kaum noch schlucken. »Ich kann kaum noch schlucken«, sagte er laut. Aber er brachte nur ein unverständliches Krächzen hervor.
    Er stemmte sich hoch und stellte erschrocken fest, dass ihm schwarz vor Augen wurde. Während er an der Wand lehnte und darauf wartete, dass sein Kreislauf in Gang kam, merkte er, dass seine Beine zu zittern begannen. Als das Zittern stärker wurde, ließ er sich vorsichtig an der Wand

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