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Das Camp

Titel: Das Camp Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Tondern
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die zweite Gruppe versetzt worden. Er musste die gefällten Stämme jetzt von den Ästen befreien und die dickeren Teile zu Kaminholz verarbeiten.
    »Und der Rest?«, fragte Luk. Er genoss es, endlich wieder reden zu dürfen.
    »Keine Sorge«, sagte Sascha. »Die lassen hier schon nichts umkommen. Das wird alles gehäckselt.«
    »Und dann?«
    »Fahren Autos damit.«
    »Echt? Wie soll das denn gehen?«
    »Doch, hab ich gehört. Die verticken das Zeug an eine Firma, die Benzin daraus macht. Oder Gas. Keine Ahnung.«
    Der neue Junge in ihrem Trupp hieß Alex. Er war groß und blond und stand einfach nur da mit seinem Spaten, bis man ihm sagte, was er zu tun hatte. Er sah eigentlich nicht so aus, als vermisse er es, dass er nicht sprechen durfte. Wenn man ihn ansah, lächelte er still. Was der wohl angestellt hatte, dass er hier im Camp gelandet war?
    Sascha erklärte Alex, was er zu tun hatte. Alex nickte und rammte seinen Spaten in die Erde. Es wirkte fast so, als wäre er froh darüber, endlich an die Arbeit gehen zu können.
    Der Mann war echt gut. Als ob er mit einem Spaten in der Hand auf die Welt gekommen war. Zäh und verbissen legte
er einen Wurzelstrang nach dem anderen frei. Gegen Mittag mussten sie ihn sogar ein bisschen bremsen, damit sie nicht allzu schnell fertig wurden.
    Sie hatten gerade angefangen, den Stumpen aus seinem Loch zu wuchten, als nicht weit von ihnen wieder mal die Tröte ging.
    »Baum fällt!«, rief Pannewitz.
    Luk entdeckte Benjamin, der ein paar Schritte entfernt mit gesenktem Kopf über die Lichtung humpelte. Ihm fiel auf, dass er ihn lange nicht gesehen hatte. Vielleicht hatten sie Benjamin für eine Weile in die Strafzelle gesteckt, damit er hier auf der Lichtung nicht den Betrieb aufhielt.
    Jedenfalls war er auch diesmal nicht hochgestuft worden. Er hatte keine Stiefel und an seinen Füßen hatte sich anscheinend immer noch nicht genug Hornhaut entwickelt. Benjamin konnte kaum noch gehen.
    »Achtung!«, rief der Zugführer. »Baum kommt!«
    Luk fiel auf, dass Benjamins Haltung sich plötzlich veränderte. Eben noch war er träge und kraftlos über die Lichtung gehumpelt. Auf einmal straffte sich sein Körper. Er winkelte entschlossen die Arme an und rannte los.
    Später fragte Luk sich oft, woher er das eigentlich gewusst hatte. Nichts in Benjamins Verhalten hatte angekündigt, was passieren würde. Und trotzdem hatte Luk schon reagiert, bevor Benjamin überhaupt losgelaufen war.
    »He, Mann!«, protestierte Sascha.
    Luk hatte ihn einfach beiseitegestoßen, als er aus dem Stubbenloch sprang. Er fiel nach vorn, machte drei oder vier Schritte auf allen vieren und fing sich aber Gott sei Dank wieder. Wenn er auch nur Zehntelsekunden später bei Benjamin angekommen wäre, wäre es zu spät gewesen.

    Die riesige Blutbuche kippte schon. Ihre weit ausladende Krone kam langsam in Bewegung, fiel dann immer schneller, mit einer alles vernichtenden Wucht.
    Benjamin hielt auf die Stelle zu, an der ihn die gewaltige Krone auf jeden Fall treffen würde.
    Die Tröte ertönte wieder.
    Zweimal kurz hintereinander, laut und durchdringend.
    Sonst war es still auf der Lichtung. Man hörte keine Kommandos, keine Axtschläge, nichts. Nur dieses mörderische, anschwellende Rauschen der fallenden Baumkrone.
    Luk wusste, dass er zu spät losgestürzt war. Dass er keine Chance hatte, Benjamin noch einzuholen. Trotzdem hechtete er los. Legte alles in diesen einen Versuch.
    Und er hatte unglaubliches Glück. Er erwischte Benjamin am Overall. Ziemlich weit unten, am Hosenbein. Zuerst mit einer Hand, dann auch mit der anderen. Er krallte sich in den klammen, durchgeschwitzten Stoff und warf sich zusammen mit Benjamin zur Seite. Sein Fuß blieb an einer Wurzel hängen oder vielleicht schon an einem Ast der fallenden Baumkrone. Ein stechender Schmerz durchzuckte sein Bein bis zur Hüfte hinauf und nahm ihm den Atem.
    »Lass mich!«, schrie Benjamin und trat um sich. Er gab wütende Laute von sich und versuchte, sich loszureißen, während sie gemeinsam über den aufgewühlten, feuchten Boden rollten. »Lass mich los, verdammt!«
    Benjamin strampelte verzweifelt. Luk spürte, wie ihm der Stoff zwischen den Fingern entglitt. Dreck spritzte ihm in die Augen. Blind griff er erneut zu. Diesmal bekam er Benjamin am Bein zu fassen.
    Der Himmel verdüsterte sich über ihnen. Dann brach um sie herum die Hölle los.
    Holz zersplitterte mit gellendem Knacken. Der weiche
Boden erzitterte unter tonnenschweren Ästen, die auf

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