Das Camp
als er nur den muffigen Kellergang vor der Arrestzelle betrat. Er wurde langsamer. Aber Pannewitz schob ihn weiter.
Die schwere Holztür schwang auf. Luk prallte zurück. Der Gestank war sogar noch schlimmer geworden seit dem letzten Mal. Pannewitz stieß ihn in den kahlen, feuchten Raum. Aber er zog die Tür nicht zu. Er blieb im Türrahmen stehen.
»Stiefel«, verlangte er.
»Aber ich bin Stufe drei. Wenn ich um eine Stufe …«
»Schnauze!«, brüllte der Zugführer. »Du kannst froh sein, wenn du hier überhaupt noch eine Chance bekommst.«
»Aber …«
»Noch ein einziges Wort und du hast eine Woche Nulldiät. Ich zähl bis drei: Eins, zwei und …«
Luk lehnte sich gegen die Wand und streifte seine Stiefel ab.
Pannewitz klemmte sie sich unter den Arm und ging. Noch während der Zugführer draußen die beiden Riegel vorschob, sah Luk, dass der grüne Plastikeimer neben dem Loch, das ihm als Toilette dienen sollte, kein Wasser enthielt. Kein Wunder, dass der Gestank noch schlimmer geworden war. Wahrscheinlich war das als Strafverschärfung gedacht.
Er lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und ließ sich in die Hocke rutschen.
Jetzt war er also wieder ganz am Anfang. Stufe eins. Er musste wieder barfuß gehen und durfte nicht sprechen. Aber einen Unterschied gab es doch. Er wusste jetzt, wie das Camp tickte. Er musste denen deutlich zeigen, dass dieser Brief nur ein unbedachter Ausrutscher gewesen war. Dass er trotz allem entschlossen war, sich an die Spielregeln in ihrem Bootcamp zu halten.
Aber es dauerte eine Ewigkeit, bis sie ihm endlich Gelegenheit dazu gaben. Zwei Tage lang ließen sie ihn in seiner feuchten Zelle schmoren, ohne Essen, ohne einen einzigen Schluck Wasser. In regelmäßigen Abständen zwang er sich, Spaziergänge zu machen. Vier Schritte vorwärts, Kehrtwendung, vier Schritte zurück. Zwischendurch legte er Gymnastikübungen ein, die er noch aus dem Sportunterricht im Kopf hatte. Er musste sich fit halten.
Als er schließlich Schritte auf dem Gang hörte, sprang er so hastig auf, dass ihm schwarz wurde vor den Augen. Sein
Kreislauf spielte nicht mit. Trotzdem schaffte er es, Haltung anzunehmen, als die Tür aufschwang. Pannewitz hatte ein Metalltablett mit zwei Scheiben trockenem Brot und einem Becher Wasser auf den Boden gestellt. Er schob es mit dem Fuß herein.
Luk stand stocksteif an der Wand, den Blick geradeaus gerichtet, die Hände an der Hosennaht.
»Na also«, sagte der Zugführer. »Geht doch.«
Mindestens 24 Stunden verstrichen. Als Pannewitz das nächste Mal kam, stand Luk wieder stramm, den Rücken an der Wand, den Blick geradeaus, die Hände an der Hosennaht.
»Mitkommen«, befahl der Zugführer.
Er brachte Luk in denselben Raum, in dem er bei seiner Ankunft im Camp sein sogenanntes Sündenregister aufgeschrieben hatte.
Das Klemmbrett, das ihm der Zugführer gab, schien dasselbe zu sein, das er auch damals bekommen hatte. Sogar der Kugelschreiber schien noch derselbe zu sein. Eins musste man den Leuten lassen, sie drückten die Kosten, wo sie nur konnten.
»Schreib alles genau auf«, sagte Pannewitz. »Von wem war dieser Brief? Was stand drin? Wer hat ihn transportiert? Ich will alles wissen, bis in die letzten Einzelheiten.«
Luk hütete sich zu antworten. Er stand einfach nur stramm.
Er hatte Zeit genug gehabt, sich die Antworten zurechtzulegen. Es sei ihm peinlich gewesen, schrieb er auf, dass die anderen Post von ihren Freundinnen bekamen, er aber nicht. Deshalb habe er sich an ein Mädchen aus seiner Klasse gewandt, Judith. Er habe seinen Brief dem Vermessungsingenieur aufgeschwatzt. Damit es schneller ging mit der Antwort von Judith. Aber die habe leider alles ganz falsch verstanden und ihren Antwortbrief nicht auf dem normalen
Postweg an ihn geschickt, wie er sich das vorgestellt hatte, sondern an Herrn Haufeld. Luk betonte ausdrücklich, dass er hoffe, den Vermessungsingenieur damit nicht in Schwierigkeiten zu bringen.
Pannewitz ging auf diesen Punkt überhaupt nicht ein. »Wenn das alles so harmlos war«, wollte er wissen, »warum hast du den Brief dann aufgegessen?«
»Ein Liebesbrief«, schrieb Luk auf das Blatt auf dem Klemmbrett. »Ich wollte nicht, dass jemand ihn liest und das dann im ganzen Camp herumgeht. War wohl ein bisschen blöd von mir.«
Der Zugführer nickte, sagte aber nichts dazu. Er nahm das Klemmbrett mit Luks Antworten an sich und ließ Luk in die Arrestzelle zurückbringen.
Am nächsten Morgen holten sie ihn zum Waldlauf.
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