Das Cassandra-Projekt: Roman (German Edition)
Präsidentschaft verspielt bei dem Versuch, es zurückzubekommen.«
Beinahe tat Nixon ihm leid. George hatte die alten Filmaufzeichnungen gesehen und Masons Biographie The Plumbers and the President gelesen. Warum sich das Land gegen Nixon gewandt hatte, verstand George. Die Wahrheit, so dachte er, ist: Nixon war emotional ganz einfach nicht in der Lage, dem Druck im Weißen Haus standzuhalten. Seine Dünnhäutigkeit war Nixons Hauptproblem gewesen, ein ernstes Handicap auf der großen Bühne. Ganz besonders, wenn man die junge Generation seines Landes in den Krieg schickte. Zudem hätte zu Zeiten des Kalten Krieges ein Fehlurteil sämtliches Leben auf dem Planeten auslöschen können.
Das Mobiltelefon des Präsidenten meldete sich mit dem alten Stück ›Bahn frei‹, dessen Thema ein Pferderennen war, ein Klingelton, den Ray missbilligte. Damit sende, so meinte er, George die falsche Botschaft. George vermittele den Leuten den Eindruck, er wäre kein ernst zu nehmender Mensch. Aber natürlich war George der Präsident der Vereinigten Staaten, und wenn er Pferderennen wollte …
»Mr President«, meldete sich Kim, »Admiral Quarles ist hier.«
Die Krise in Afrika spitzte sich zu, und Quarles wollte Marines in das Gebiet entsenden. Die jüngste Umfrage deutete darauf hin, dass achtundfünfzig Prozent der Bevölkerung das Gleiche wollten. Es verblüffte George immer wieder, wie schnell die Menschen vergaßen.
»Geben Sie mir drei Minuten, Kim! Dann sagen Sie ihm, er soll reinkommen.« Er wandte sich wieder seinem Stabschef zu. »Ray, wir müssen herausfinden, was in dieser Aktentasche war. Tun Sie, was immer Sie tun müssen!«
»Wie, meinen Sie, sollen wir das anstellen, George?«
»Spüren Sie die Leute auf, die zur Zeit des Einbruchs im DNC-Büro gearbeitet haben!«
»Das war Lawrence O’Briens Zeit.«
»Ich weiß.«
»Er ist bereits tot, Sir.«
»Verdammt, Ray, denken Sie etwa, das wüsste ich nicht? Aber es muss noch jemanden geben, der ebenfalls dort war. Jemanden, der sich erinnert, was passiert ist. Vielleicht eine Sekretärin.«
»Okay, Mr President. Ich tue, was ich kann.«
»Machen Sie es möglich, Ray!«
Der Admiral kam mit zwei Adjutanten und einer kompletten digitalen Show, die demonstrieren sollte, warum die USA eingreifen müssten. Leute stürben. Weitere Massaker stünden bevor. Die ganze Region falle auseinander. Und dann seien da noch strategische Überlegungen.
In militärischen Angelegenheiten befleißigte sich George üblicherweise einer ruhigen Haltung, lauschte den Argumenten und erklärte, warum er keine US-Truppen einsetzen würde. Das sei stets ein Sturz ins Bodenlose. Erst würden die Jungs losgeschickt. Das sei der einfache Teil. Dann müssten die Truppen verstärkt werden. Dann sehe man zu, wie die andere Seite ein bemerkenswertes Durchhaltevermögen an den Tag lege. Kämpfe, bis das Land die Sache leid sei. Dann ziehe man ab und lasse die Freunde und Verbündeten, die einem geholfen hätten, in dem betroffenen Land zurück, wo sie dem sicheren Tod entgegenblickten. Das hatten die USA seit dem Zweiten Weltkrieg immer wieder getan. Bis diese Vorgehensweise das Land finanziell erschöpft und hoffnungslos zerstritten zurückgelassen hatte. Die letzten Tage der Weltmacht, wenn man dem Titel eines aktuellen Bestsellers Glauben schenken wollte. »Wir spielen dieses Spiel nicht mehr, Admiral«, sagte George schließlich und ließ zu, dass seine Verärgerung durchschimmerte. »Wir halten uns raus.«
Quarles war ein kleiner hagerer Mann mit Adlernase. Seinen Kopf krönte dichtes weißes Haar. Er war erfüllt von der knallharten Überzeugung, dass die USA Militär einsetzen sollten, um diverse Mörder rund um den Globus aufzuhalten. Er war wenig geneigt, anzuerkennen, dass George Cunningham zuerst den Bürgern der Vereinigten Staaten verpflichtet war. »Bei allem gebotenen Respekt, Mr President«, sagte er gefährlich leise, »dieses Blut wird an unseren Händen kleben!«
Womit er natürlich Georges Hände meinte. Und Quarles hatte recht. An den Händen des Präsidenten würde Blut kleben, ganz gleich, welche Entscheidung er träfe. »Danke für das Gespräch, Admiral«, sagte George. »Ich vertraue darauf, dass die Medien keine Geschichten über Gemurre in hohen Pentagon-Kreisen bringen werden.«
Als es vorbei und das militärische Kontingent gegangen war, schaltete George den Fernseher ein und betrachtete die Bilder, die soeben hereinkamen und brennende Städte und verrohte
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