Das Cassandra-Projekt: Roman (German Edition)
zur vorderen Veranda empor. Lichter flammten auf, und die Tür wurde geöffnet, ehe er sie überhaupt erreicht hatte. Eine dunkelhaarige Frau in mittleren Jahren blickte ihm mit einem nervösen Lächeln auf den Lippen entgegen. »Mr Culpepper?«
»Ja, Ma’am.« Von drinnen konnte er aufgeregte Kinderstimmen und Soundeffekte hören. Offenbar war gerade ein Kriegsspiel im Gange.
»Kommen Sie bitte herein!« Die Frau öffnete die Tür weit. Die Schlachtgeräusche kamen aus einem anderen Raum. »Ich hoffe, der Lärm stört Sie nicht.«
»Ganz und gar nicht«, sagte Jerry und betrat das geschmackvoll gestaltete Wohnzimmer. Zwei mit Blumen gefüllte Vasen standen auf einem Tisch in der Nähe des Fensters, das von üppigen rabenschwarzen Vorhängen umrahmt wurde. Die Polstermöbel waren mit Leder bezogen. Bilder von Familienangehörigen, überwiegend Kinder, schmückten die Wände. Ein Foto von Aaron Walker in der Uniform eines Commanders belegte einen Platz zwischen den Blumen.
Ms Alcott deutete auf einen Sessel. »Machen Sie es sich bequem, Mr Culpepper. Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
»Nein, vielen Dank«, lehnte er ab. »Aber bitte lassen Sie uns weniger förmlich sein. Ich heiße Jerry.«
»Ich weiß. Ich habe Sie im Fernsehen gesehen.« Ms Alcott setzte sich auf das Sofa. »Ich bin Jane.«
»Ist mir ein Vergnügen, Jane.«
»Sie haben das Tagebuch gesehen, nicht wahr?«
»Ja.«
»Ich glaube nicht, dass ich Ihnen mehr darüber sagen kann. Der Eintrag hat mich selbst verblüfft. Erschreckt sogar.«
»Wenn ich recht informiert bin, haben Sie es sich vorher nie richtig angesehen. Stimmt das?«
»Das stimmt, Sir, äh, Jerry. Es war seit dem Tod meines Vaters in meinem Besitz. Aber bis vor Kurzem habe ich es kaum aufgeschlagen. Er hat hier bei uns gelebt. Auf der Rückseite des Hauses hatte er sein Reich. Eigentlich ist es eine Art Einliegerwohnung gewesen.«
»Sie müssen sehr stolz auf ihn gewesen sein, Jane.«
»Oh ja. Er war ein bemerkenswerter Mann. Ich vermisse ihn.« Ihre Lider flatterten. »Sie hätten ihn gemocht.«
»Bestimmt.« Jerry machte eine Bemerkung dazu, wie nett das Haus und die Nachbarschaft wären, ehe er zum Punkt kam. »Haben Sie eine Ahnung, was Ihr Vater mit diesem Eintrag gemeint hat?«
Jane lehnte sich zurück und schüttelte den Kopf. Sie war eine attraktive Frau, aber in ihren Augen lag eine gewisse Traurigkeit. Vielleicht hatte sie das Gefühl, dass im Leben ihres Vaters etwas Unfassbares vorgefallen war und sie es fertiggebracht hatte, nichts davon mitzubekommen. »Nein. Ich bin erst vor ungefähr einem Jahr darüber gestolpert. Wir haben das Haus aufgeräumt, um Platz zu schaffen. Wir haben eine Menge Zeug weggeworfen, und dabei haben wir das Tagebuch gefunden. Im Grunde habe ich schon Vorjahren gewusst, dass er Tagebuch führt, weil ich ihn abends darin habe schreiben sehen. Aber das hatte ich ganz vergessen. Dann habe ich einen Karton geöffnet, und da hat es drin gelegen. Zusammen mit einigen seiner Bücher.
Ich habe mich hingesetzt und darin geblättert, aber nicht viel gesehen, was mich interessiert hätte. Er hat schon seit dem College Tagebuch geschrieben. Ich habe mir die alten Einträge angesehen und die Abschnitte über Mom gelesen, wie er auf sie aufmerksam geworden ist und all das. Und ein paar Einträge aus seiner Zeit bei der Navy.«
»Ach ja, richtig«, bekräftigte Jerry. »Er war ja Pilot bei der Navy.«
Sie lächelte. »Er war Marineflieger, Jerry. Diese Jungs sind etwas Besonderes. Und sie sind beleidigt, wenn man sie als Piloten bezeichnet.« Die Kinderstimmen wurden lauter. Jane stand auf, entschuldigte sich und ging hinüber, um für Ruhe zu sorgen. Während sie fort war, sah Jerry sich einige der Fotos genauer an. Auf einem posierte Jane mit einem Mann in einem dunklen Anzug. Vermutlich ihr Ehemann. Etwas an ihm erweckte den Eindruck, er wäre Anwalt. Es stellte sich heraus, dass er Politikberater war. Die Kinder waren zwischen sechs und zwölf Jahre alt, zwei von jedem Geschlecht. Den Lärm momentan machten junge männliche Stimmen.
Dann verstummten sie. Gleich daraufkamen zwei Jungs mit verlegenen Mienen ins Wohnzimmer. Jane stellte sie vor. Vor dem fremden Gast waren sie ziemlich eingeschüchtert. Wahrscheinlich hatte Jane ihnen erzählt, Jerry würde die nächste Mondmission leiten oder so was in der Art.
»Tut mir leid«, sagte sie. »Manchmal schlagen sie ein bisschen über die Stränge.«
Die Jungs kehrten zu ihrem Spiel
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