Das Cassandra-Projekt: Roman (German Edition)
Brechstange an. Außerdem war Jerry öffentlich bekannt. Er war das Gesicht der NASA. Die Leute wussten, wer er war, und sie hatten keinen Grund, an seinem Verstand zu zweifeln. Jeder vertraute ihm. Blackstone dagegen war trotz all seines Geldes nie eine Person des öffentlichen Lebens gewesen. Nun aber war er dabei, zu einer der bekanntesten Männer des ganzen Landes zu werden. MSNBC hatte eine Blitzumfrage durchgeführt. Achtundneunzig Prozent der Befragten erkannten den Milliardär, und vier von fünf stuften ihn als geistesgestört ein. Oder Schlimmeres. Einer der ›Politikreferenten‹ von CBS bemerkte, Blackstone habe außerdem ein Talent, die Menschen zu erschrecken. »Sehen Sie«, sagte er, »die Leute wissen, dass dieser Mann Raketen starten lassen will.«
Und da lag eben das Problem. Blackstone hatte so viel Trara gemacht, dass Jerry keinerlei Hoffnung mehr hatte, die Angelegenheit in aller Stille verfolgen zu können. Herzlichen Dank auch, Bucky!
Barbara saß an ihrem Schreibtisch, als er am nächsten Tag im Büro eintraf, und blickte ihm mit einer Mischung aus Bestürzung und Mitgefühl entgegen. Und da war noch etwas anderes, etwas in ihrem Ton, das andeutete, dass sie ihn nicht mehr auf die gleiche Art wahrnahm wie früher. Sie war seit eineinhalb Jahren Jerrys Sekretärin. Eigentlich war sie mehr als das: Sie war ihm eine Freundin gewesen. Aber als er an diesem Morgen eintrat, war es, als hätte sich eine Kluft zwischen ihnen aufgetan. Es fühlte sich nicht an, als wäre sie auf Distanz gegangen, sondern so, als würden sie einander nicht mehr kennen.
Wenn eine wichtige NASA-Story im Laufe eines Abends veröffentlicht wurde, stellte sie normalerweise das beherrschende Thema dar, wenn er am nächsten Tag das Büro betrat. Jerry, haben Sie gesehen, was die in der Raumstation gemacht haben? Oder: Haben Sie schon von Commander Ryan und der Stripperin gehört? Aber an diesem Tag schaute Barbara nur halb abgewandt in seine Richtung. »Hallo, Jerry«, sagte sie mit einem schwachen Lächeln. »Wie geht’s?«
Ja, wie?
Mary ließ ihn zwar in Ruhe, aber sicher nicht, weil sie glücklich darüber war, wie sich die Sache entwickelt hatte.
Jerry lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und konzentrierte sich auf das Foto, das ihn mit drei Pfadfinderinnen vor einer Testrakete im Museum zeigte. Es war erst im letzten Monat aufgenommen worden.
Die Kinder waren von Trupp 17, der zu einer der örtlichen Kirchen gehörte. Plötzlich schien das alles so lange her zu sein. Ein Bild aus glücklicheren Tagen …
An diesem Vormittag sollte Jerry ein Interview mit Petra Bauer führen, einer NASA-Physikerin. Jerry lieferte regelmäßig Beträge für NASA TV. Das war sogar der Teil seiner Arbeit, der ihm am meisten Freude machte. Die meisten Lacher erzielte er stets, wenn er behauptete, als Junge hätte er unbedingt Astronaut werden wollen, hätte aber ein Problem mit großen Höhen. Der Spruch war wahrscheinlich deswegen so wirkungsvoll, weil die Menschen erkannten, dass er einen wahren Kern enthielt. Ein kurzer Blick verriet bereits, dass Jerry kein Gipfelstürmer war. Ihm ging es vor allem darum, zurechtzukommen. Er verfügte über Sozialkompetenz und ein Talent, sich bei anderen beliebt zu machen. Er war ein guter Redner, hegte darüber hinaus eine Leidenschaft für die Raumfahrt. Zumindest, solange er den praktischen Teil anderen überlassen konnte.
Für seinen Job war er perfekt geeignet. Zumindest war er das gewesen, ehe Sidney Myshkos langes Schweigen der Öffentlichkeit bekannt geworden war.
Blackstone war überzeugt, dass während der Mission eine Landung stattgefunden hatte. Jerry dachte, dass vielleicht eine stattgefunden haben könnte. Irgendetwas war ganz offensichtlich vorgefallen. Aber er konnte sich immer noch keinen Grund für die Geheimhaltung vorstellen. Also, Bucky, raus damit: Leg dir irgendeine Theorie zurecht! Liefere mir ein Szenario, das Sinn ergibt!
Sein Telefon piepte. »Mary ist in der Leitung«, teilte Barbara ihm mit.
Man musste kein Sherlock Holmes sein, um zu ahnen, was Mary wollte. Jerry nahm das Gespräch entgegen. »Guten Morgen, Mary.«
»Haben Sie Blackstone gestern Abend gesehen?« Ihre Stimme klang müde.
»Ja, habe ich.«
»Es hört einfach nicht auf.« Er hörte Musik im Hintergrund. Mary hatte eine Vorliebe für Symphonien. »Ich wäre so froh, wenn das endlich vorbei wäre, Jerry.«
»Tut mir leid, wenn ich ein Problem herbeigeführt habe.«
»Es ist nicht Ihre Schuld.
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