Das Cassandra-Projekt: Roman (German Edition)
bringen können, dass es da ein Problem gäbe. Und dabei kam Jerry sich furchtbar dumm vor. Er war dabei, sich in einen Geek auf einem Science-Fiction-Treffen zu verwandeln.
Aber da war nichts. Kein größerer Zeitraum, aus dem keine Bilder vorlagen. Keine geheime Sowjetbasis. Keine gut bestückte automatische Raketenabschussvorrichtung. Keine vakuumatmenden Mondbewohner, die irgendeinen Krater bevölkerten.
Jerry las die Missionspläne. Studierte die Karten der Mondrückseite und versuchte, herauszufinden, ob irgendwelche größeren Gebiete auf den Fotos fehlten. Er ging hinunter und nahm in der Kantine ein schnelles Abendessen ein. Dann kehrte er zurück in sein Büro und nahm sich erneut die Karten vor.
Das Problem war, dass er im Grunde nicht so recht wusste, was er eigentlich tat.
Am Morgen rief er Cal Dryden an, einen Physikprofessor an der University of Central Florida. Cal war ein begeisterter Förderer der NASA, den Jerry bei einem Essen im Zuge einer Spendensammlung vor einem Jahr kennengelernt hatte. Drydens Sekretärin erklärte ihm, der Professor halte ein Seminar, sie würde ihm aber eine Nachricht hinterlassen. Dreißig Minuten später lächelte Jerry der Professor aus dem Bildschirm heraus an. Er schien jedes Mal, wenn Jerry ihn sah, zugelegt zu haben. Außerdem hatte Dryden sich einen Bart wachsen lassen, was vielleicht keine so gute Idee gewesen war. Der Bart war von grauem Haar durchzogen, was ihn einige Jahre älter erscheinen ließ, als er war. Aber möglicherweise war das ja auch die Wirkung, die Dryden zu erzielen wünschte.
»Hi, Jerry.« Er saß in einem Lehnsessel vor einer Wand voller Bücher. »Was kann ich für Sie tun?«
»Cal, ich habe hier ein paar Bilder von der Mondrückseite. Aus den späten Sechzigerjahren. Ich hatte mich gefragt …« Wie sollte er sich ausdrücken? »Ich glaube, sie könnten unvollständig sein, und hatte mich gefragt, ob Sie vielleicht ein wenig Zeit erübrigen und sich die Aufnahmen ansehen könnten.«
Cal runzelte die Stirn. »Was meinen Sie mit ›unvollständig‹?«
»Möglicherweise fehlen einige Gebiete, die eigentlich hätten erfasst werden müssen. Sie wissen schon, Bilder, die vielleicht beide Außenbereiche eines Gebiets darstellen, die Mitte aber nicht.«
»Und Sie wollen, dass ich die fehlenden Teile finde?«
»Ich möchte, dass Sie feststellen, ob es solche fehlenden Teile gibt.«
»Sie haben gesagt, die Bilder sind aus den späten Sechzigern, Jerry?«
»Ja.«
»Warum interessiert Sie das?«
»Das ist schwer zu erklären, Cal.«
Dryden atmete tief durch. »Ich nehme an, das hat etwas mit dem Myshko-Flug zu tun?«
»Möglicherweise. Ich weiß es nicht. Aber ich wüsste es sehr zu schätzen, wenn Sie das für sich behalten würden.«
»Okay. Aber, verdammt, Jerry, was geht da eigentlich vor? Wollt ihr Leute jetzt Gerüchte über geheime Missionen in die Welt setzen?«
»Ich kann mir keine bessere Möglichkeit vorstellen, uns auch noch des letzten Rests unserer finanziellen Zuwendungen zu berauben, Cal.«
»Ernsthaft.«
»Ich glaube, dass der Funkverkehr einfach zwischendurch zusammengebrochen ist. Ich versuche gerade, die Sache beizulegen.«
»Okay, schicken Sie mir die Bilder! Haben Sie Daten, die beschreiben, was sie darstellen sollen?«
»Ich habe die Missionsparameter.«
»Gut. Schicken Sie mir die auch!«
»Eines noch, Cal …«
»Ja?«
»Sollten Sie etwas Ungewöhnliches entdecken, etwas, womit Sie nicht gerechnet haben, geben Sie mir Bescheid, ja? Aber niemandem sonst.«
Ein breites Lächeln zeigte sich auf Drydens Lippen. »Etwas Ungewöhnliches? Was schwebt Ihnen denn da vor?«
»Ich weiß es nicht, Cal. Etwas Merkwürdiges halt.«
Es war Freitagabend. Seit ein paar Monaten ging Jerry dann und wann mit Susan Cassidy aus. Susan war Bibliothekarin in Titusville und trotz ihrer rabenschwarzen Haare und der dunklen Augen nicht unbedingt umwerfend schön. Aber sie war klug und die Art von Frau, die immer attraktiver wurde, je besser man sie kennenlernte. Nun saß Jerry mit ihr im Olive Garden auf Merritt Island und genoss Spaghetti Bolognese, als sein Telefon klingelte.
Jerry gehörte nicht zu den Leuten, die beim Zusammensein mit Freunden oder gar während eines Rendezvous zu telefonieren pflegten. Aber er sah, dass Cal der Anrufer war. »Es ist wichtig«, sagte er zu Susan. »Hab Nachsicht mit mir, ja?«
Sie lächelte und nickte. Kein Problem.
»Ja, Cal«, meldete er sich, »was gibt es?«
»Nichts, Jerry.
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