Das Chamäleon-Korps
gebogene und bucklige Regale, und von der Balkendecke hingen Poster, Kalender und Schilder an Drähten herab. „Fangt ihr viele Touristen?“ fragte Jolson.
Unter einem Poster mit der Aufschrift ‚Liebe genügt, und wenn die Welt auch darben sollte. Tretet den Props bei!’ befand sich ein kleines, mageres junges Mädchen von etwa achtzehn Jahren. Sie trug ein rosengelbes Hemdkleid, und ihr Haar war lang und hellrotbraun. Ihre Arme waren dünn, ihre Beine lang. „Bist du neu im Randbezirk?“
Jolson sagte: „Hm, ja, gerade angekommen, dritter Klasse aus Murdstone. Im Augenblick versuche ich, der Stapo auszuweichen.“
„Ich bin Kath Hofstadter.“
„Will Roxbury.“
„Ich leite diesen Laden ab und zu für die Props.“
„Das“, sagte Jolson, der keine Sirenen mehr hörte, „ist wohl die Amoure Propre Gesellschaft von diesem Kubert, wie?“
„Stimmt“, sagte das Mädchen. Sie setzte sich auf eine Fiberglaspackkiste. „Lanny Kubert hat den Namen aus irgendeinem alten Jargon von so einem Planeten im Sonnensystem übernommen. Er heißt Selbst-Liebe.“
„Dieser Son Brewster jr.“, sagte Jolson, „ist doch auch bei den Props, habe ich gehört.“
„Klar“, sagte Kath und klopfte mit den Fingern auf ihre Knie. „Son ist bei den meisten Aktivitäten im Randbezirk dabei. Er ist der Typ, der das hier beschafft, die Poster und alles andere. Auf Peregrine gibt es da so eine ziemlich heruntergekommene Zombiefabrik, die sie herstellt. Son läßt alles drucken und einschmuggeln. Aber die Slogans schreibe ich.“
„Die Liebe sieht nicht mit den Augen, sondern mit dem Verstand“, las Jolson von dem obersten Poster ab, das auf einem ganzen Stapel neben dem Mädchen lag. „Na ja, klingt jedenfalls besser als das Zeug, das sie drüben in der Stadt auf Ballons pinseln.“
Kath legte die Hände unter ihr Kinn. „Wieso bist du nach draußen gegangen? Die Stapo sieht es gar nicht gern, wenn man rübergeht. Wenn man viel rumläuft, kann man sicher sein, daß man bald eingesperrt wird oder daß noch Schlimmeres passiert.“
„Ich hab’ mal eine Dokumentation über diese Vergnügungstürme und ihre Umgebung gesehen“, sagte Jolson. „Als ich noch zu Hause auf Murdstone war.“
„Na ja“, sagte Kath. „Als ich sagte ‚schreiben’, da meinte ich eigentlich nur, daß ich die Zeilen aus Büchern und Speicherbändern herauskopiere. Bändern wie ‚Geflügelte Worte aus allerlei Universen’ und so weiter.“
„Wie lange bist du schon im Randbezirk?“
„Fast genau ein Jahr“, sagte das schlanke Mädchen. „Meine Eltern sind auf Barnum, weißt du. Mein Vater stellte Kriegsspielzeug her. Hofstadter Spielzeug – Spielwaren aus fünfzig Kriegen und einhundertfünfzig Polizeiaktionen. Vielleicht hast du schon einmal von ihm gehört.“
„Ja, sogar auf Murdstone“, sagte Jolson. „Als ich sieben war, habe ich mal einen Landbefriedungskasten geschenkt bekommen.“
„Das muß aber ein gebrauchter gewesen sein“, sagte das Mädchen und runzelte die Stirn. „Denn irgend so ein Komitee hat Paps dazu gezwungen, das Ding vor zwanzig Jahren aus dem Verkehr zu ziehen. Die Firmengeschichte kenne ich ganz gut, weißt du. Ich habe sehr viel davon zu hören bekommen, während ich heranwuchs.“
Die Tür des Ladens wurde aufgerissen. Jolson wirbelte herum und griff mit der Hand an die kleine Blasterpistole, die nun neben seiner Wahrheitsausrüstung unter seinem Arm hing.
Der blasse, dunkelhaarige Mann, der in den Posterladen trat, war Sol S. Mahones, den Jolson zuletzt unter einem Tisch im vornehmsten Teil von Esperanza City gesehen hatte. „Hallo, Kath“, sagte Mahones. Er streckte Jolson eine Hand hin. „Ich weiß nicht, wer Sie sind, aber ich bin jedenfalls auf der Seite der Props und der ganzen Randbezirksideologie.“
„Ich bin Will Roxbury“, sagte Jolson.
„Sol S. Mahones“, sagte der Reporter. „Heute streife ich wieder im Randbezirk umher, Kath. Meine Lieblingsbeschäftigung.“
„Ich dachte, Sie hätten sich auf Korruption spezialisiert“, sagte Jolson.
Mahones lehnte sich an ein Regal mit Liebespuppen. „Hier gibt’s genug Korruption, Will.“
Mahones kratzte sich an einem seiner spitzen Ellenbogen. „Aber mich lockt nicht nur die Korruption hierher, wie Kath bestätigen kann. Was würdest du sagen, wie alt ich bin, Will?“
„Vierzig.“
„Vierunddreißig“, sagte Mahones. „Ist schon gut, daß du dich verschätzt hast. Ich weiß ja, daß wir, wir fürchterlich
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