Das Cottage im Wald
selten.”
“Ist sie deshalb hierher gekommen? Um dir vom Tod deiner Frau zu berichten?”
“Unter anderem, ja. Aber Josie und ich waren geschieden, wir liebten uns nicht mehr. Trotzdem tut es mir leid für sie. Ein solches Schicksal würde ich nicht einmal meinem schlimmsten Feind wünschen.”
“War sie krank?”
Sean machte eine wegwerfende Handbewegung. “Josies Krankheit waren andere Männer. Ich frage mich, mit welchem armen Teufel sie wohl gerade zusammen war, als sich der Unfall ereignete. Sie war völlig verdorben und ohne jede Moral.”
“Das tut mir leid, Sean”, sagte sie betroffen. “Habt ihr …, hast du Kinder?”
“Nein, zum Glück nicht.”
“Magst du denn keine Kinder?”, fragte sie vorsichtig.
“Manchmal ist es besser, wenn man keine hat.”
“Warum sagst du so etwas, Sean?”
“Das spielt doch keine Rolle”, antwortete er gereizt. “Im Leben kommt es meistens anders, als man denkt. Ich jedenfalls werde mich nicht mehr binden. Ich will allein und nach meinen eigenen Vorstellungen leben, und was die anderen denken, darauf pfeife ich.”
Carin verstand nicht ganz, was er damit sagen wollte. Irgendwie machte das alles keinen Sinn. Sie wandte sich ab und begann schweigend, den Tisch abzuräumen. Als Sean vorschlug, nach Hause zu fahren, stimmte sie gleichgültig zu. Hier zu bleiben, um die Spannung nur zu verstärken, brachte ohnedies nichts.
Auf der Rückfahrt sprach keiner ein Wort. Carin fühlte sich scheußlich. Erleichtert atmete sie auf, als sie endlich zu Hause waren und jeder seiner Wege ging.
Noch am gleichen Abend besuchte Carin John im Krankenhaus. Sie brannte darauf, ihm von Seans Frau zu erzählen.
“Warum hat er dich denn in dem Glauben gelassen, Stephanie sei seine Frau?”, fragte John verständnislos.
“Keine Ahnung. Der Mann ist mir ein Rätsel.”
“Und du? Was ist mit dir? Ich weiß, dass er dir nicht gleichgültig ist, auch wenn du es nicht zugibst.”
“Sean hat nicht die Absicht, je wieder zu heiraten. Das hat er mir deutlich genug gesagt. Ich bin froh, wenn du wieder auf dem Damm bist, damit er nach Hause gehen kann, wo immer das auch sein mag.”
“Apropos nach Hause gehen”, warf John ein. “Morgen werde ich entlassen. Natürlich werde ich noch eine Weile Krücken brauchen, aber wenigstens muss ich nicht mehr im Bett liegen. Und Liz hat versprochen, mich zu besuchen. Wie findest du das?” John strahlte.
“Dann brauchst du Sean also gar nicht mehr?” Der Gedanke, Sean nun für immer zu verlieren, machte Carin plötzlich ganz traurig.
“Nein, so fit bin ich nun auch wieder nicht. Eine Weile wird er schon noch bleiben müssen. Wer weiß, vielleicht ändert er seine Einstellung zur Ehe ja doch noch.”
Das bezweifelte Carin stark. Sean hatte ganz eindeutig klargestellt, wie er über Frauen dachte. Er würde mit ihr schlafen, wenn sie wollte, aber er liebte sie nicht. Die Erfahrung mit Josie hatte aus ihm einen misstrauischen, verbitterten Menschen gemacht.
Am nächsten Morgen, als Sean das Büro betrat, teilte Carin ihm mit, dass John heute aus dem Krankenhaus entlassen werde.
Sean war überrascht. “Kann er denn schon wieder arbeiten?”
“Noch nicht, er muss sich noch etwas schonen.”
“Also ist meine Zeit hier bald zu Ende.” Ein Schatten huschte über Seans Gesicht. “Wirst du mich vermissen, wenn ich nicht mehr hier bin?”, fragte er plötzlich.
Carin wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Im ersten Moment war sie versucht, die Wahrheit zu sagen, doch dann besann sie sich. “Ja, ich vermisse dich bestimmt – wie einen alten Turnschuh.”
Auf Seans Zügen zeichnete sich Ärger ab. Mit einer solchen Antwort hatte er nicht gerechnet. Carin war sicher, dass er mit einer abfälligen Bemerkung kontern würde, doch stattdessen blieb er ruhig und wechselte unvermittelt das Thema. “John wird sich freuen, wenn er sieht, wie gut wir gewirtschaftet haben. Die Einnahmen sind im Vergleich zum letzten Jahr gestiegen, und Buchungen hatte er noch nie so viele wie in diesem Monat.” Dann verließ er kurzerhand das Büro.
Carin tat es leid, dass sie gelogen hatte, aber was hätte sie tun sollen? Sie musste sich mit einer Lüge schützen. Am liebsten hätte sie sich irgendwo verkrochen und sich die Augen ausgeweint. Niemals durfte Sean erfahren, was sie wirklich für ihn empfand.
Kurz vor dem Mittagessen wurde John im Krankenwagen nach Hause gebracht. Er humpelte auf Krücken ins Haus und strahlte übers ganze Gesicht.
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