Das Crusenriff
Gefühl, unbeschreiblich schöner als alles Vorangegangene.
Werden die Freunde lange um mich trauern? schoß es ihm durch den Sinn. Ein gräßliches Zischen veranlaßte ihn, endlich die Augen zu öffnen. Er atmete auf, als er nirgendwo die Schlange Yhr entdecken konnte. Die kühle, würzige Luft wirkte wohltuend und belebend, und der Rest von Benommenheit fiel von ihm ab.
Sein Rücken schmerzte.
Dabei war er immer der Meinung gewesen, im Totenreich gäbe es keine körperlichen Qualen mehr.
Dunstschleier trieben über ihm dahin. Und die Gipfel der Berge, die er sah, erinnerten irgendwie ans Riffland.
Gerrek erschrak, denn da war dieses Zischen wieder, das ihn oft sogar bis in seine Träume verfolgt hatte.
Seine vorsichtig tastenden Hände stießen auf rauhen, kalten Untergrund.
Wie Schuppen! durchzuckte es ihn, und er kam mit einem heiseren Aufschrei hoch.
Was er gefühlt hatte, waren Schuppen. Der Beuteldrache kannte das gut zehn Schritte messende Geschöpf, das so dick war wie eine kräftige Amazone.
»Yhr!« stieß er wütend hervor.
Ein mächtiger Kopf wandte sich ihm zu; der gezackte Rückenkamm zuckte leicht.
»Laß mich sofort runter!« verlangte Gerrek. »Mit dir will ich nichts zu tun haben.«
Die großen, starren Schlangenaugen saugten sich förmlich an ihm fest. Unter diesem Blick fühlte er sich mehr als nur unbehaglich.
»Was willst du?«
»Deine Freundschaft, Gerrek.«
»Mehr nicht?« Das klang spöttisch. Der Beuteldrache erschauderte vor der endlos scheinenden Tiefe, die sich unter ihm erstreckte. Yhr hatte ihn hoch über das Riff hinausgetragen.
»Ist das so schwer zu verstehen?«
Er antwortete nicht. Seine Rechte tastete nach dem Kurzschwert, als ein abermaliges bösartiges Zischen ihn einhalten ließ.
»Ich habe dir das Leben gerettet.«
»Hoffentlich erwartest du keinen Dank dafür. Erst muß sich herausstellen, ob du mir damit wirklich einen Dienst erwiesen hast.«
Die Schlange stieß eine Reihe von Geräuschen aus, die wie menschliches Lachen klangen.
»Setz mich sofort ab!« befahl Gerrek.
»Du verkennst mich. Ich bin nicht so böse, wie du es glaubst.« Yhrs Schädel pendelte zum Greifen nahe vor ihm hin und her.
»Sofort, habe ich gesagt!« Gerrek riß sein Kurzschwert aus der Scheide und schlug zu, aber sein Hieb ging ins Leere.
Die Schlange war verschwunden, und er stürzte wieder. In weiter Ferne gewahrte er Carlumen als winzigen, kaum erkennbaren Fleck.
»Helft mir!« gellte sein Schrei durch das Riffland, doch niemand hörte ihn.
Wieder begann er zu zappeln wie ein Fisch am Haken – nur mit dem Unterschied, daß es keine Leine gab, an der er festhing.
»Verdammt, Yhr, du Mistvieh, hilf mir.«
Von irgendwoher erklang amüsiertes Zischen. Aber der Schlangenleib blieb unsichtbar.
»Verlange von mir, was du willst, nur laß mich nicht zu Tode stürzen.«
»Was ich will?«
»Ja – in aller Dämonen Namen.«
Schlagartig wurde Yhr wieder existent. Sie hatte sich halb zusammengerollt, und Gerrek landete weich in ihrer Mitte. Ihre gespaltene Zunge tastete über seinen Rücken.
»Du bist heil und unversehrt, nun hilf mir, daß auch ich endlich freikomme.«
»Frei?« Damit hatte er nicht gerechnet.
»Wir haben eine Abmachung getroffen«, bekräftigte Yhr. »Solltest du dich allerdings inzwischen anders entschlossen haben…« Die Windungen ihres Körpers begannen sich zu lockern.
»Nein, nein«, beeilte Gerrek sich zu versichern. In sich zusammengesunken kauerte er da, die Hände vors Gesicht geschlagen, um Yhr nicht erkennen zu lassen, wie es um ihn bestellt war.
Ihre Forderung bedeutete für ihn nichts anderes, als seine Freunde zu verraten, die ihm vertrauten. Konnte es ein schändlicheres Verbrechen geben?
» Carlumen wird nichts geschehen«, zischelte die Schlange. »Ich will nur meine Freiheit zurück. Du kannst die DRAGOMAE-Kristalle nicht zerstören, aber du mußt sie wenigstens vom Steuertisch entfernen. Nur für kurze Zeit…«
»Das ist unmöglich. Vor allem der Kleine Nadomir hütet die Bausteine wie seinen Augapfel.«
Yhr traf Anstalten sich aufzurollen, und Gerrek umklammerte sich entsetzt an ihrem Kamm fest.
»Ich habe dich lange beobachtet. Wenn es um kleine Diebereien geht, bist du mindestens ebenso geschickt wie Joby.«
Weshalb sollte er nicht zum Schein auf die Forderung eingehen? Yhr würde sich hüten, etwas gegen ihn zu unternehmen, wenn er erst wieder auf Carlumen weilte. Sie besaß nicht die Macht, ihm an Bord der Fliegenden Stadt
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