Das Dalai-Lama-Prinzip fuer Kollegen
Abhängigkeit aller Phänomene, wie sie auf den vorhergehenden Seiten an Beispielen dargelegt wurde, ist eine Grundvoraussetzung für richtiges und sinnvolles Handeln. Inmitten dieser gegenseitigen Abhängigkeit ein Ego-Territorium abgrenzen zu wollen, muss zwangsläufig Probleme nach sich ziehen. Es ist die Aufgabe einer buddhistischen Wirtschaftsethik, dies offenzulegen. Manager und Politiker müssen immer wieder darauf hingewiesen werden, dass und warum eine immer weitere Verwertung der Natur und der Gesellschaft durch Eigentumsrechte und Wettbewerbsprozesse verheerende Folgen nach sich ziehen kann.
Der erste Schritt zu einer neuen Ethik ist die Erkenntnis der nur scheinbar mächtigen Geld-Illusion und die Bereitschaft von Menschen, das eigene Handeln mit Blick auf die gegenseitige Abhängigkeit einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Praktische Lösungen zur Reform der Weltwirtschaft sind global nur durch die Zusammenarbeit in multilateralen Organisationen möglich, in denen alle unterschiedlichen Überzeugungen und Glaubenssysteme zu Wort kommen müssen. Jeder Beteiligte muss der Ethik des anderen Gehör und Aufmerksamkeit schenken. In gegenseitiger Toleranz und unter Nutzung des kreativen Potenzials aller spirituellen und philosophischen Traditionen kann es gelingen, das Leiden einer in Inseln des Egoismus zerrissenen Welt wenigstens zu mindern.
Von Managern und Chefs, von Wirtschaftsvertretern und Politikern Werte wie Integrität und Respekt für andere zu fordern und nach geeigneten gesetzlichen Vorschriften und Normen zu suchen, ist nur eine Seite der Medaille. Viel wichtiger für jeden Einzelnen ist, was er selbst zu einer neuen ökonomischen Ethik beitragen kann. Wie können wir die richtige innere Einstellung entwickeln, die uns hilft, nicht mehr gierig, rücksichtslos und unbedacht zu sein? Wie können wir in unserem privaten und beruflichen Umfeld für diese Werte einstehen und sie vorbildhaft leben? Bei der Antwort auf diese Frage kann die buddhistische Lehre eine große Hilfe sein. Der Buddhismus betont Werte wie Mitgefühl, Friedfertigkeit, Achtsamkeit, Bewusstheit, Ganzheitlichkeit, Toleranz und Großzügigkeit, und er bietet eine Vielzahl von Techniken und Leitlinien an, um diese Eigenschaften und Fähigkeiten zu entwickeln.
Eigenverantwortung übernehmen
Der zentrale Ausgangspunkt der buddhistischen Ethik ist die Annahme, dass wir alle in der Lage sind, unser Leben zu gestalten. Unser Schicksal ist nicht von Gott gegeben und auch nicht vom Zufall bestimmt, sondern wir gestalten es selbst: Es ist das Ergebnis unserer Gedanken, Worte und Taten. Vorwürfe und Schuldzuweisungen haben hier nichts zu suchen. (Auch wenn es Ihnen vielleicht schwerfällt: Das gilt auch für Schuldzuweisungen an gierige Banker, verantwortungslose Manager und korrupte Politiker.) Der Buddhismus sagt: Nicht der andere ist schuld an einer bestimmten Situation, sondern immer wir selbst. Hier könnten Sie nun empört einwenden: Wieso ist es meine Schuld, wenn ich aufgrund der Wirtschaftskrise meinen Job verliere? Und ich bin doch nicht schuld daran, wenn Aktienspekulanten mein Geld aufs Spiel setzen! Das ist richtig, faktisch haben wir solche Geschehnisse nicht zu verantworten. Aber es liegt allein in unserer Hand, wie wir auf diese Geschehnisse reagieren, wie wir diese Veränderungen und Situationen bewerten, ob wir sie als Chance oder als Niederlage sehen, ob wir daraufhin unser eigenes Verhalten beibehalten oder verändern.
Nach buddhistischer Sichtweise ist alles, was wir erleben, relativ: Dinge, Menschen, Situationen, Erlebnisse besitzen keine ihnen innewohnende unveränderbare Qualität. Auf die wirtschaftliche Situation bezogen, heißt das: Eine Wirtschaftskrise ist– genauso wie ein Wirtschafts-Boom – an sich weder schlecht noch gut, sie ist zu jeder Zeit beides. Das bedeutet, sie hat das Potenzial, alles Mögliche zu sein: zerstörerisch, beängstigend, befreiend, innovativ… Sie lässt sich also vollkommen unterschiedlich bewerten. Wie wir etwas bewerten, hängt von den Erfahrungen ab, die wir in der Vergangenheit gemacht haben, und welche Einstellungen und Verhaltensweisen wir daraus entwickelt haben.
Im Grunde handeln wir immer aus bestimmten Gewohnheiten heraus. Diese Gewohnheiten sind aber nicht unbedingt nützlich, weil sie oftmals zu falschen Bewertungen und Taten verführen. Manchmal reagieren wir automatisch und entwickeln zerstörerische Gefühle wie Wut oder Hass, und das nur aus dem Grund, weil
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