Das Dekameron
aus, legte dessen Kleider an und schloß dann das Grab über sich wieder zu. Als er aber nun so an der Stelle des Scannadio dalag und darüber nachzudenken anfing, wer dieser Mann gewesen sei, und ihm einfiel, was er von Dingen gehört hatte, die nicht allein in den Gräbern der Toten, sondern auch anderswo nachts vorgegangen waren, da sträubte sich ihm allmählich jedes Haar am Leibe, und es kam ihm so vor, als müsse Scannadio sich jeden Augenblick aufrichten und ihm hier den Hals abschneiden. Doch die brennende Liebe half ihm wiederum, diese und andere fürchterliche Betrachtungen zu besiegen, und still daliegend, als wäre er selbst der Tote, fing er nun an zu erwarten, was mit ihm geschehen würde.
Als die Mitternacht nahte, verließ auch Rinuccio sein Haus, um ins Werk zu setzen, was seine Dame ihm hatte sagen lassen. Unterwegs aber fiel ihm auch mancherlei ein, was ihm möglicherweise begegnen könnte, wie zum Beispiel, daß er mit dem Körper des Scannadio auf dem Rücken der Obrigkeit in die Hände fallen und als Hexenmeister zum Feuer verdammt werden könnte, oder daß er, wenn man es erführe, sich den Haß der Verwandten des Toten zuziehen möchte, und andere ähnliche Betrachtungen, die ihn beinahe zurückgehalten hätten. Dann aber sagte er sich wieder: »Wie, soll ich in der ersten Sache, welche diese edle Frau, die ich so geliebt habe und noch liebe, von mir verlangt, nein sagen? Und besonders jetzt, wo ich ihre Gunst dadurch gewinnen soll? Nein, und müßte ich ohne Rettung sterben, so kann ich doch nicht umhin, das auszuführen, was ich versprochen habe.«
Nun ging er weiter, gelangte zu dem Grabmal und öffnete es mit leichter Mühe. Als Alessandro öffnen hörte, verhielt er sich ganz still, wie große Furcht er auch empfand. Rinuccio stieg hinein, faßte in der Meinung, den Leichnam des Scannadio zu ergreifen, Alessandro bei den Füßen, zog ihn heraus, lud ihn sich auf die Schultern und machte sich nun mit ihm nach dem Hause der Edelfrau auf den Weg. Während er so weiterschritt, stieß er mit ihm, ohne weiter darauf zu achten, bald hier, bald dort an eine Ecke der Bänke, welche die Straßen säumten, denn die Nacht war so dunkel, daß er nicht zu unterscheiden vermochte, wo er ging.
So war er bis an die Türschwelle der Edelfrau gelangt, die mit ihrer Magd am Fenster stand, um zu hören, ob Rinuccio den Alessandro brächte, und sich schon gerüstet hatte, beide fortzuschicken, als es sich traf, daß die Scharwache, welche in der Straße lauerte, um einen Verbannten zu greifen, das Geräusch vernahm, welches der schwere Gang des Rinuccio verursachte. Schnell zogen sie ein Licht hervor, um zu sehen, was es gäbe und wohin sie sich zu wenden hätten, schlugen ihre Schilde und Speere zusammen und riefen: »Wer da?«
Rinuccio erkannte sie, und da er zu langer Überlegung keine Zeit hatte, ließ er den Alessandro von der Schulter fallen und lief davon, so rasch die Beine ihn tragen wollten. Alessandro aber sprang schnell auf und eilte, obwohl er die Kleider des Toten anhatte und diese gar lang waren, ebenfalls schnell von dannen.
Die Witwe, die bei dem Licht, das die Scharwache mit sich führte, Rinuccio mit dem Alessandro auf dem Rücken wohl erkannt und zugleich gesehen hatte, daß Alessandro das Leichengewand des Scannadio trug, erstaunte nicht wenig über die große Kühnheit beider Liebhaber. Allein allem Staunen zum Trotz mußte sie doch lachen, als sie sah, wie Rinuccio den Alessandro so abwarf und beide dann die Flucht ergriffen. Froh über diesen Ausgang und den Himmel preisend, daß er sie von der Verlegenheit mit diesen beiden erlöst hatte, kehrte sie zurück und begab sich in ihre Kammer, stimmte aber ihrer Magd darin bei, daß beide sie ohne Zweifel sehr liebhaben müßten, weil sie, wie sich nun gezeigt habe, ihren Auftrag ausgeführt hätten.
Wie bekümmert auch Rinuccio war und wie sehr er auch sein Mißgeschick verwünschte, ging er darum doch nicht nach Hause, sondern kehrte, nachdem die Scharwache jene Straße verlassen hatte, dahin zurück, wo er den Alessandro abgeworfen, und begann nun, mit den Händen tappend, nach ihm zu suchen, um, wenn er ihn fände, seine Aufgabe zu vollenden. Als er ihn jedoch nicht fand und nun annehmen mußte, daß die Scharwache ihn weggetragen habe, ging er betrübt nach Hause.
Alessandro, der nichts anderes zu tun wußte und auch den nicht einmal erkannt hatte, der ihn dorthin getragen, ging bekümmert über sein Mißgeschick
Weitere Kostenlose Bücher