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Das Dekameron

Das Dekameron

Titel: Das Dekameron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Boccacio
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zuzubringen. Übel bekleidet wie er war, warf er sich auf die nackte Erde nieder und verfiel endlich, vom langen Weinen erschöpft, in Schlaf.
    Zu dieser Grotte kamen am frühen Morgen zwei Menschen, die nachts auf Diebstahl ausgewesen waren, mit dem gestohlenen Gut. Sie gerieten in Streit, und der eine, welcher der Stärkere war, erschlug den ändern und entfloh. Dies alles hatte Gisippus mit angehört und gesehen, und er glaubte, nun zu dem Tod, den er so sehr begehrte, den Weg gefunden zu haben, ohne sich selbst töten zu müssen. Deshalb blieb er, ohne sich zu entfernen, so lange an dem Orte, bis die Schergen des Gerichts, die schon von diesem Vorfall gehört hatten, herbeikamen und den Gisippus gefangen ungestüm hinwegführten. Beim Verhör gestand er, daß er diesen Menschen getötet und nicht vermocht habe, aus der Grotte zu entfliehen. Deshalb gebot denn der Prätor, welcher Marcus Varro hieß, daß Gisippus, wie es damals Brauch war, am Kreuze sterben solle.
    Zufällig war Titus zu dieser Stunde auf das Prätorium gekommen, blickte dem unglücklichen Verurteilten ins Gesicht, vernahm das Warum seiner Verurteilung und erkannte ihn plötzlich als Gisippus, nicht minder über dessen elendes Geschick als darüber erstaunt, wie er hierhergekommen sein könne. Von Verlangen ergriffen, ihn zu retten, und ohne einen ändern Weg zu seinem Heil zu wissen, als wenn er sich selbst anklagte, um ihn von der Anklage zu befreien, trat er hervor und sagte laut: »Marcus Varro, rufe den armen Mann zurück, den du verurteilt hast, denn er ist schuldlos. Ich habe die Götter durch eine Schuld genug beleidigt, indem ich den erschlug, den deine Schergen heute morgen getötet fanden, und will sie jetzt nicht zum zweitenmal durch den Tod eines ändern Unschuldigen beleidigen.«
    Varro erstaunte und war unzufrieden, daß das ganze Prätorium dies vernommen hatte. Doch da er nun mit Ehren nicht umhin konnte, zu tun, was die Gesetze vorschrieben, ließ er den Gisippus zurückkommen und sprach in Gegenwart des Titus zu ihm: »Wie warst du, ohne daß dir irgendein Zwang angetan wurde, so töricht, zu bekennen, was du nicht getan hast, wobei doch dein Leben auf dem Spiele stand? Du behauptest, der gewesen zu sein, welcher in der vergangenen Nacht jenen Menschen erschlug, und jetzt kommt dieser her und versichert, daß nicht du, sondern er ihn getötet hat.«
    Gisippus blickte auf, sah, daß es Titus war, und erkannte gar wohl, er tue dies, um ihn zu retten und aus Dankbarkeit für den ihm einst erwiesenen Dienst. Weinend vor Rührung sprach er daher: »Varro, fürwahr ich tötete ihn, und des Titus Mitleid kommt für meine Rettung jetzt zu spät.« Von der ändern Seite entgegnete Titus: »Prätor, wie du siehst, ist dieser ein Fremdling, der ohne Waffen an der Seite des Ermordeten gefunden wurde, und leicht kannst du erkennen, daß sein Elend ihm Anlaß gab, den Tod zu begehren. Darum laß ihn frei und strafe mich, der ich es verdient habe.«
    Varro wunderte sich über die Hartnäckigkeit der beiden Männer und ahnte jetzt wohl, daß keiner von ihnen der Schuldige war. Während er noch über die Art nachdachte, wie beide loszusprechen seien, siehe, da trat ein Jüngling hervor, Publius Ambustus genannt, ein aufgegebener und allen Römern als Räuber bekannter Mensch. Dieser hatte in der Tat den Mord begangen, und da er wußte, daß keiner von jenen beiden der Tat schuldig sei, deren er sich bezichtigte, so kam eine solche Rührung über deren Unschuld in sein Herz, daß er, von Mitleid tiefbewegt, vor Varro hintrat und also sprach: »Prätor, mein Geschick ruft mich herbei, um die schwere Streitfrage zwischen diesen beiden zu lösen. Ich weiß nicht, welch ein Gott mich innerlich stachelt und antreibt, dir meine Schuld zu bekennen, und darum wisse denn, daß keiner von beiden dessen schuldig ist, wessen jeder sich selbst anklagt. Ich bin in der Tat der, welcher jenen Menschen heute früh bei Tagesanbruch erschlug, und diesen Unglücklichen, der hier steht, sah ich dort schlafend, während ich das gestohlene Gut mit dem teilte, den ich nachher ermordete. Titus aber braucht nicht erst von mir gerechtfertigt zu werden. Sein makelloser Ruf bekundet hinlänglich, daß er nicht der Mann ist, um dergleichen zu tun. Darum laß beide frei und verhänge über mich die Strafe, welche die Gesetze befehlen.«
    Oktavian hatte bereits von dieser Sache gehört. Er ließ daher alle drei vor sich kommen und wollte die Ursache wissen, weshalb jeder der

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