Das Doppelgrab in der Provence
Punkte sind ja nie so ganz genau anzupeilen. Hügel und Bäche gibt es reichlich, und diese wuselige Wurmförmigkeit läßt sich, böse Absicht vorausgesetzt, in viele Bodenformationen hineinlesen. Und ein rüstiger Greis kann sehr wohl Hügel umrunden, sich deren Form merken und, wenn er sie erklommen hat, die Windungen eines Gewässers werten. Ich halte das Ganze für eine Mischung aus Kalkül, Zufall und Unterstellung. Die meisten Hügel haben so eine Wurmform, jedenfalls in Andeutungen, und Bäche schlängeln sich nun mal häufig. Es ist bestimmt nicht so schwer gewesen, in der Nähe der von Maharbal dafür vorgesehenen Punkte diese sehr allgemeinen Landmarken zu finden.«
Ducros zündete sich eine neue Zigarette an und hustete. »Na gut. Kommen wir zu den Schätzen. Und, natürlich, den vergrabenen Reiseberichten. Wo sind die denn?«
Baltasar entzündete mit feierlichen Gesten eine Zigarre. Dann erklärte er dem Kommissar, welche Punkte ihm in Anbetracht der Dreien und Vieren innerhalb und außerhalb der Fläche des großen Dreiecks wahrscheinlich erschienen. Ducros lauschte stumm, inspizierte die angegebenen Punkte, starrte Matzbach an, und dann brachen beide in ein mehrstimmiges Gelächter aus. Ducros wechselte übergangslos zu einem ausgedehnten Hustenanfall. Schließlich japste er: »Toll,
c'est super
– wenn Sie da richtigliegen, also nein. Ein Staudamm, ein Schießplatz, eine Kirche und dieses Dings, nein, ist das schön. Vor allem – also, dessen Gesicht möchte ich sehen.«
Als sie sich beruhigt hatten, sagte Baltasar sanft: »Und bei all dem dürfen wir nicht vergessen, daß Bronner die Sache offenbar begriffen hatte. Und er ist mit Sicherheit umgelegt worden.«
Ducros hustete in den übervollen Aschbecher. »Pah, puh. Aber was hat er in Les Baux gewollt? Das ist doch außerhalb des Dreiecks.«
»Ja. Ich weiß nicht genau, wie er es angestellt hat, aber nehmen Sie an, er hat den Interessenten erklärt, wenn man die große Strecke von Süden nach Norden teilt statt umgekehrt, dann muß man auch die Seiten verdrehen. Wenn Sie nämlich« – er malte wieder – »Cassis als Karthago, Orange als Belfast nehmen und den rechten Winkel nach Westen statt nach Osten anlegen, dann läge Samos nicht bei Draguignan, sondern irgendwo im Wasser, südlich der Rhônemündung. So. Nun nimmt er die heilige Drei als Aufforderung, die Strecke Cassis-Orange zu dritteln. Der Schlußteil beginnt dann hier, bei Cavaillon. Legt man in Cavaillon einen rechten Winkel an – denken Sie immer an die senkrechte Vision –, wo kommt man dann hin? Die Linie schneidet die Seite des großen Dreiecks genau südlich von Les Baux.« Er legte den Stift weg. »Ich weiß es nicht«, murmelte er. »Die Angaben sind so vage, daß man sie in alle Richtungen drehen kann. Vielleicht hat er auch andere Argumente gebraucht. Jedenfalls hat er jemanden nach Les Baux bestellt und ist zwei Tage lang immer wieder auf die alten Mauern geklettert, um nach dem Geladenen Ausschau zu halten. Das ist übrigens auch eine Erklärung für dieses idiotische Spiel. Ich hatte angenommen, er wartet darauf, daß jemand nach Les Baux selbst kommt, um dann in letzter Sekunde zu verschwinden. Alberne und kaum durchzuführende Idee, natürlich, denn was, wenn der böse Gast auftaucht, während Bronner nicht auf den Zinnen, sondern zum Beispiel auf dem Klo hockt? Also, denk ich mir jetzt, hat Bronner jemandem auseinandergesetzt, daß unterhalb des Berges, südlich, etwas verbuddelt sein muß. Er klettert immer wieder auf die Ruinen, um nachzusehen. Wenn die Schatzsucher gekommen sind und angefangen haben zu graben, kann Bronner getrost in seinen Wagen steigen und verschwinden, um an einer anderen Stelle, der richtigen, Nachforschungen anzustellen, unbeobachtet. So oder ähnlich könnte es gewesen sein. Vielleicht gibt es aber eine ganz andere Erklärung.«
Er machte eine Pause. Ducros schwieg und wartete. Baltasar fuhr fort: »Theoretisch gibt es eine Menge Interessenten. Der Archäologe – er hat das Ding entdeckt, bisher offenbar nicht enträtselt, obwohl es doch so einfach ist, hm, und er lügt. Er behauptet, die Sache wäre nicht wichtig, dabei ist der Fund allein des Testaments schon eine große Sache. Demlixh – er hat sich bei mir gemeldet. Bronner ist bei ihm gewesen, Demlixhs Haushälterin ist gestorben, und zwar an einer Fischvergiftung, an die ich nicht glaube, und Demlixh hat angeblich mit dem Tode gerungen – woran ich auch nicht glaube. Er war gut
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