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Das Doppelgrab in der Provence

Das Doppelgrab in der Provence

Titel: Das Doppelgrab in der Provence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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schließlich doch herausgerückt hatte. Es war knapp und mysteriös.
    »Wenn Sie das kleine Spitzendreieck nach Osten klappen und vom Scheitel das Lot auf die Hypotenuse werfen, werden Sie zweifellos verstehen, weshalb ich am Sonntag eine Wanderung von der klaren Quelle zu unklaren Gipfeln unternehme. Meine Interessen sind finanzieller Natur, und die von Bronner über Sie gesammelten Informationen gehen der Präfektur erst zu, wenn mir etwas zustößt. Bieten Sie?«
    Er kicherte zufrieden. Dann machte er sich an die ungleich schwierigere Aufgabe, den Phantastiker Edmund Demlixh zu irritieren. Er brütete eine lange Zeit und sog abwechselnd an der Zigarre und an den Fingern. Schließlich skizzierte er den genauen Verlauf seiner Nonsens-Kette und begann zu tippen.
    »Sehr geehrter Dr. Demlixh – Im Zusammenhang mit Ihrer bemerkenswerten Arbeit über den Erlkönig als außerirdischen Genetiker möchte ich Sie auf einige weitere Eigenarten der europäischen Überlieferungen aufmerksam machen, die damit verbunden sein könnten. Zweifellos sind Ihnen ältere Darstellungen bekannt, die die Christophorus-Legende illustrieren: Der Riese trägt das winzige, unendlich schwere Christuskind über einen Fluß. Lassen Sie sich nicht durch die Tatsache beirren, daß die jüngste transzendentale Personaldebatte des Vatikans Christophorus (neben anderen) als nie existiert habend bezeichnet und ohne Ausfertigung von Zeugnissen, die ihm einen anderen Job ermöglichen würden, entlassen hat; bekanntlich sind die Beschlüsse des Vatikans sowohl für das Christentum als auch für die mittelalterliche Legendenbildung bedeutungslos.
    Auf den meisten alten Christophorus-Darstellungen findet sich ein Hutzelmännchen mit Kapuze und Laterne. Leider ist die Ikonographie nicht einheitlich: Der Kapuzengreis steht mal auf dem Ufer, zu dem Christophorus wankt, mal auf dem, das er verlassen hat. Bei dem Greis handelt es sich um den heiligen Cucuphatus, Cucufatus, Cucuphates o.a. Die Herkunft des Namens wird von der Religions- und Brauchtumsforschung, soweit sie sich der Sprache befleißigt, von der kapuzenartigen Verhüllung abgeleitet,
cucullatus
, ›der mit Kopfverhüllung‹. Vermutlich gab es einen Märtyrer, der unter Diokletian mehrere Tode gleichzeitig erlitt und heilig wurde, weil die Natur intervenierte. Als man ihn verbrennen wollte, ereignete sich ein löschender Wolkenbruch; als man ihn mit Pferden vierteilen wollte, weigerten sich die braven Tiere, einen Schritt zu tun; statt ihn zu ertränken, teilte sich das Wasser. Erst mehrere Verfahren in geeigneter Kombination setzten seinem Leben in dieser schnöden Welt ein Ende.
    Dieser (historische?) Hintergrund ist weniger interessant als die symbolischen Ausschmückungen späterer Zeit. Denken Sie an T. S. Eliot und das Tarock, den ›Tod durch Wasser‹ und sein Gegenteil, die mysteriöse, das ›ewige Leben‹ spendende Taufe durch Wasser. Tod und ewiges Leben sind gleichermaßen geheimnisvoll, ›verhüllt‹, beide stehen in der Überlieferung und im Mythos in enger Verbindung zueinander und zu Wasser. Nun gilt es als wahrscheinlich, daß in die Verehrung des Riesen Christophorus, der ›das Leben‹ trägt, als Antipode der Tod eingeschoben wurde, repräsentiert durch den verhüllten Kapuzengreis, der jedoch, da der Tod als durch die Taufe überwunden gilt, mit seiner Laterne den Weg zum rettenden Ufer weist. (Das ist leider, wie gesagt, nicht einheitlich und außerdem ziemlich wirr. Dr. Trautchen Neetix, Hamburg, die sich damit beschäftigt, wird hoffentlich Licht in dieses Dunkel zu schleudern vermögen.)
    Kluge Menschen, die sich von Berufs wegen damit befassen, haben nun die These aufgestellt, dieser kleine Kapuzenmann sei eine populäre Weiterentwicklung vorchristlicher Unterweltgottheiten, eng verwandt – zweiten Grades, denke ich, Vetter oder so – mit dem Fährmann Charon, und habe nichts mit dem möglicherweise historischen Cucuphatus gemein. (Es fällt hierbei auf, daß die Namenstage von Christophorus und Cucuphatus zusammenfallen: 25. Juli.) Ich schlage jetzt einen großen Bogen, den Sie sicher nachvollziehen können. Eine eingehende Argumentation, die den Reiz eines Buches ausmachen könnte, ist in einem kurzen Brief unmöglich.
    Fassen wir die Elemente zusammen: Tod, Leben, Wasser, Kapuze, Riese, Zwerg, Laterne (Licht), Verhüllung. Was ist mit dem verhüllenden Nebel, den der Elfenkönig/Erlkönig über den Übergang von einer Art Leben zu einer Art Tod legt? Wie steht

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