Das Dorf der Katzen
erkunden.
„Der frühe Wurm fängt den Vogel - oder so ähnlich“, murmelte sie, als sie sich aufmachte, für den erneuten Zweikampf mit dem Duschvorhang anzutreten.
Das anschließende Frühstück war von Stavros liebevoll zubereitet, aber recht kärglich. Da half auch die Hibiskusblüte nur wenig, die in einem Schnapsglas als Vasenersatz auf dem Tisch stand.
Immerhin, der Kaffee konnte Tote wecken! Und irgendwo in der Stadt konnte sie ja später ein zweites Frühstück zu sich nehmen.
Bewaffnet mit ihrem Stadtplan machte sie sich schließlich auf, die Stadt zu erkunden, die sie bisher nur aus Prospekten und vom gestrigen Landeanflug her kannte.
Ihr Weg führte sie quer durch den sechseckigen Innenhof der Nea Agora, über den Platz, an dem die Taxis immer noch oder schon wieder standen und dann Richtung Stadtmauer. Es war noch relativ früh am Vormittag, die Luft fühlte sich frisch und seidig an. Nicht so aufgeheizt und verbraucht wie gestern am Nachmittag. Angenehme Nachtkühle strahlte noch von den Wänden der Gebäude.
Es herrschte allenthalben eine hektische Betriebsamkeit: Rhodos bereitete sich auf einen neuen Tag vor. Händler öffneten ihre Geschäfte, zerrten fahrbare Ständer mit Postkarten, Strandspielzeug und Taschenbüchern auf die Gehsteige. Überall wurde unter Einsatz von Eimern und Wasserschläuchen gefegt und gekehrt, Rinnsale mit Schmutzwasser liefen die Gehsteigkanten entlang und verschwanden in Kanalisationsöffnungen. Cafebesitzer stellten Tische und Stühle vor ihre Läden. Mopeds knatterten vorbei, auf den Gepäckträgern Plastikkisten voller Obst und Gemüse.
Nach wenigen Schritten, vorbei an Souvenirbuden und Portrait-Schnellzeichnern unter mächtigen Platanen kam ein großes Tor in der Stadtmauer in ihr Blickfeld, durch das sich der ganze Verkehr quetschen musste, der sich schon wieder lautstark entlang der Hafenpromenade bewegte. Autos, Busse, Zweiräder, Fußgänger. Alles.
Letztere hatten hier wenigstens mit einem Geländer abgegrenzte Gehwege, wie sie erleichtert feststellte.
Das Tor war laut Stadtplan das Eleftherias-Tor. Vera fädelte sich in den Fußgängerstrom ein und ließ sich hindurchschieben.
Auf der anderen Seite des Tores begann eine völlig andere Welt: Die befahrene Straße machte eine scharfe Kurve nach links und verließ die Altstadt gleich wieder durch ein weiteres Tor. Damit waren die Fahrzeuge sehr schnell wieder aus dem Blickfeld verschwunden und vor allem verebbte der Verkehrslärm.
Vera schritt einfach weiter, hielt sich rechts, wo eine Fußgängerzone begann.
Die Straße führte leicht bergauf, an einem mobilen Eisverkäufer vorbei, dessen Verkaufswagen den 50er Jahren entsprungen sein musste und dann durch einen überbauten Torbogen.
Sie atmete tief ein. Wuchtige Bauten aus einer Art Sandstein bildeten eine respekteinflößende, malerische Kulisse.
Das Terrain war hügelig und die Straßen und Plätze folgten in sanften Schwüngen und Wellen dieser Vorgabe der Natur.
Mächtige Bäume standen hier und da und breiteten ihre Arme weit und tief herunter hängend aus. Alles sah ehrwürdig, alt und auch sehr gepflegt aus.
Die ehemaligen Pracht- und Zweckbauten der Johanniter verfehlten ihre Wirkung nicht. Vera ging auf in diesem Ensemble, das, wie ihr der Reiseführer verriet, seit dem Mittelalter im Wesentlichen unverändert geblieben oder weitestgehend authentisch restauriert worden war.
Sie blickte fasziniert auf das Pflaster aus schwarzen und hellen Kieselsteinen zu ihren Füssen – die ganze Stadt schien damit ausgelegt zu sein. Teilweise waren großflächige Mosaike und Ornamente damit gestaltet. Die Kunst, diese teilweise nur kirschgroßen Steine zu verlegen, war im Aussterben begriffen.
Sie ging die Ritterstraße, die Odos Ippoton, bergauf zum Großmeisterpalast und konnte sich unterwegs nicht satt sehen.
Alle paar Schritte öffneten sich neue Ein- und Ausblicke: Hinterhöfe, Seitengassen, Torbögen.
Später stand sie in dem gewaltigen Festungsgraben vor der Mauer, vor der sie sich klein wie eine Ameise fühlte. Sie versuchte sich vorzustellen, wie Abertausende von Türken vergeblich gegen dieses Bollwerk angerannt waren und genau hier, wo sie stand, ihr Leben lassen mussten – für Ruhm, Ehre und vor allem Ehrgeiz ihres Sultans.
Sie verirrte sich später regelrecht in dem Gassengewimmel des jüdischen Viertels, bestaunte die Riesen-Kreuzfahrtschiffe im Haupthafen, kehrte durch eines der Tore wieder in die Altstadt zurück und
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