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Das Dorf in der Marsch

Das Dorf in der Marsch

Titel: Das Dorf in der Marsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Nygaard
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nachlassenden Körperspannung, dass auch Wychzek darauf hereinfiel.
    Â»Wo waren Sie am Montagvormittag?« Die Frage kam unvermittelt und überraschend.
    Â»Am Montag? Am Vormittag? Wo wir waren?«, wiederholte Wychzek. Dem erfahrenen Polizisten signalisierte dieses Verhalten, dass der Befragte Zeit benötigte, um sich die Antwort zu überlegen. »Wir waren hier. Zu Hause.«
    Â»Was haben Sie gemacht?«
    Â»Das weiß ich doch nicht mehr.« So erging es vielen Menschen. Es war eine Frage, die selten spontan beantwortet werden konnte. »Ich habe Zeitung gelesen. Die Husumer Nachrichten«, fiel dem Mann schließlich wieder ein.
    Â»Sonst nichts?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich habe viel Zeit, seit ich nicht mehr berufstätig bin.«
    Â»Und Sie?« Große Jäger sah Bärbel Lattmann an.
    Â»Montags kümmere ich mich immer um den Haushalt. Ich habe ja jede Menge Zeit. Den lieben langen Tag lang.«
    Christoph hatte eine ganze Weile schweigend zugehört.
    Â»Langweilen Sie sich manchmal?«, fragte er die Frau.
    Ihrem Gesichtsausdruck war anzusehen, dass sie die Frage nicht verstand. Sie benötigte eine Weile, um zu antworten.
    Â»Es ist ein ganz anderes Leben als früher. Wenn Sie morgens rausmüssen, bei Dunkelheit und schlechtem Wetter, dann freuen Sie sich auf die Zeit, wenn die Maloche vorbei ist. Aber später … Dann hat man plötzlich viel Zeit.«
    Â»Es ist ein Unterschied, ob man hier im Urlaub ist oder ständig wohnt. Man hat kein soziales Umfeld, keine Freunde. Und die Sehenswürdigkeiten, die der Urlauber aufsucht, sind nach einer Weile auch vertraut und uninteressant«, sagte Christoph.
    Bärbel Lattmann nickte zustimmend. »Genau. Das haben wir vielleicht falsch eingeschätzt. Nicht wahr, Günter?«
    Wychzek reagierte nicht darauf.
    Â»Deshalb hat Günter auch angefangen, sich für die Kommunalpolitik zu interessieren. Er hätte Zeit, sich da hineinzuknien. Sie hören es, wie er sich Gedanken macht. Aber das verstehen die Leute nicht.«
    Ihr Partner brummte etwas Unverständliches, das wie eine Zustimmung klang.
    Â»Wir nehmen uns die Freiheit, lange zu schlafen. Dann frühstücken wir ausführlich. Mit allem Drum und Dran.«
    Nur für Christoph verständlich grummelte Große Jäger: »Und dann meckern die. Unsereiner muss in aller Herrgottsfrühe aus den Federn, wenn andere noch schlafen.«
    Christoph unterließ es, darauf einzugehen. Der Oberkommissar hatte einen Arbeitsweg von drei Minuten. Trotzdem war er stets der Letzte, der zum Dienst erschien. Er erklärte Wychzek und seiner Partnerin, dass sie sich melden sollten, wenn ihnen noch etwas einfiele. Seine Visitenkarte, die er auf den Tisch legte, blieb unbeachtet.
    Â»Ja, ja«, knurrte Wychzek.
    Im Auto rief Christoph die Dienststelle in Husum an.
    Â»Ludwig Böhner, dreiundfünfzig«, zählte die Kollegin auf, »kein Eintrag bei uns. Er ist nicht vorbestraft. Allerdings wurde schon einmal gegen ihn ermittelt wegen Landfriedensbruch. Er stand öfter im Verdacht, kleinere Diebstähle begangen zu haben, aber ist nie verurteilt worden. Man hat auch schon einige Male einen Platzverweis gegen ihn ausgesprochen wegen Randalierens in der Öffentlichkeit, zum Beispiel an der Tine und im Husumer Schlosspark, aber sonst ist nichts.« Die Mitarbeiterin bot Christoph an, ein Foto auf sein Smartphone zu senden.
    Â»Gern.«
    Â»Im Übrigen fühle ich mich hier recht einsam«, klagte sie. »Alle sind unterwegs.«
    Was hätte Christoph antworten sollen? Nordfriesland war nicht der Hort der Schwerkriminalität. Dennoch wurden auch hier Straftaten verübt. Und fünfundzwanzig Mitarbeiter in der Kripo für ganz Nordfriesland, das eine Ausdehnung von fast einhundert Kilometern hatte, die sich zudem auf drei Dienststellen in Husum, Niebüll und Westerland verteilten, das war nicht üppig. Die Personaldecke war knapp bemessen, insbesondere wenn man bedachte, dass zu der Fläche, die fast dem Saarland entsprach, auch noch fünfzehn Inseln und Halligen gehörten. Es war ein schwieriges Revier in einer pittoresken Landschaft. Trotzdem hätte Christoph seine Aufgabe mit keiner anderen tauschen wollen.
    Als sie an Wittes Haus vorbeifuhren, stand dort ein Streifenwagen des Husumer Bezirksreviers. Selbst die Kollegen mussten inzwischen aushelfen. Christoph stoppte abrupt und fuhr auf das

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