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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
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war« – Mr   Brecht stieß eine lange, dünne Bürste in den Lauf des Gewehrs und fuhr damit grimmig auf und ab –, »dass dieser zufällig vorbeigekommene Bursche nicht einmal ein Hemd trug. Findest du das nicht auch komisch, Hannah?«
    »Es war warm gestern Nacht, Papa«, warf Ellen ein.
    Mr   Brecht zog ungläubig eine Augenbraue hoch, als hätte seiner Tochter keine absurdere Erklärung einfallen können. Wäre die Situation nicht so unheilsschwanger gewesen, hätte ich lachen müssen.
    »Und keine Schuhe«, sagte er.
    Plötzlich hatte ich das Bedürfnis zu schreien. Dieses Gefühl übermannte mich völlig unerwartet, und je mehr ich dagegen ankämpfte, desto mächtiger wurde es. Ich schlang die Arme um meine Taille und beugte mich nach vorn, um es zu unterdrücken.
    »Ist dir schlecht, Hannah?«, fragte Mr   Brecht. »Ellen, geh mit ihr hinein, und gib ihr ein Glas Wasser.«
    Wir begaben uns nach oben und setzten uns auf Ellens Bett. In verzweifeltem Flüsterton berieten wir uns über die Ereignisse der vergangenen Nacht. Da ertönte mit einem Mal ein Knall, der durch die friedliche Morgenluft dröhnte und meine ohnehin angespannten Nerven zu zerreißen drohte. Das hässliche Geräusch echote wie ein Querschläger durch das Zimmer und hallte von den Wänden wider.
    »O Gott, Ellen, was macht er bloß?«
    »Er schießt auf Kaninchen.«
    »Tötet er sie?«
    Sie nickte. »Schießübungen.«
    Ellen beugte sich über die Bettkante, langte unters Bett und brachte eine große Einkaufstüte zum Vorschein. Sie reichte sie mir. Ihr Gesicht war leichenblass vor Angst. »Das sind Jagos Sachen. Bring sie bitte von hier weg.«
    »Hat Jago gestern Nacht die Gelegenheit gehabt, mit dir über seine Pläne zu reden? Weißt du, was du an deiner Party zu tun hast?«
    Ellen nickte.
    »Was bedrückt dich denn dann?«
    Ellen machte ein finsteres Gesicht und schlang fröstelnd die Arme um sich.
    »Mein Vater weiß etwas. Er lässt unentwegt irgendwelche Bemerkungen fallen.«
    »Was für Bemerkungen?«
    »Kleine hinterhältige Andeutungen.«
    »Das ist doch normal bei ihm. Er hat schon immer versucht, dich aus der Reserve zu locken.«
    »Ja, schon. Aber diesmal ist es anders. Ich weiß nicht, was er weiß, nur dass er etwas weiß.«
    »Glaubst du, er hat Jago gestern Nacht erkannt?«
    »Keine Ahnung!« Ellen biss sich auf die Unterlippe. Sie hatte noch immer die Arme um den Körper geschlungen und wiegte sich vor und zurück. »Was, wenn er es weiß, Hannah? Was, wenn er nur darauf gewartet und ihm aufgelauert hat? Was, wenn er gesehen hat, wie Jago aus meinem Fenster geklettert ist? Was, wenn er davor beobachtet hat, wie er in mein Zimmer gestiegen ist?«
    »Das hat er sicher nicht«, sagte ich ohne allzu große Überzeugung.
    Es war durchaus möglich. Ellen hatte recht. Mr   Brecht war alles zuzutrauen. Ich stand auf und zog sie in meine Arme. Sie legte den Kopf auf meine Schulter. Wir blickten zum Fenster hinaus und sahen, wie Mr   Brecht auf dem Feld jenseits der Straße das Gewehr anlegte und auf ein Kaninchen zielte.
    »Ich hasse ihn«, sagte Ellen im Flüsterton.
    »Du hast es ja bald geschafft.« Ich streichelte ihren Kopf. »Nur noch ein paar Tage, dann wirst du für immer frei sein. Alles wird gut, du wirst sehen.«

SIEBENUNDFÜNFZIG

    I n dem Moment, als ich Ellen erblickte, kam auf der Hügelkuppe ein leichter Wind auf. Er blies mir ein paar Haarsträhnen ins Gesicht. Es war ein zartes, tröstliches Gefühl, als wäre ich endlich dort, wo ich schon immer hätte sein sollen.
    »Alles in Ordnung mit dir, Hannah?«, fragte John.
    Ich nickte.
    John saß auf der Bank neben mir. Er hatte die Ellbogen auf die Knie gestützt und drehte einen Zweig zwischen den Fingern.
    »Ich kann es nicht glauben«, sagte ich. »Ich verstehe es nicht. Was meinst du, sollen wir jetzt tun?«
    »Lass uns einfach noch eine Weile hier sitzen und überlegen.«
    Die leichte Brise, die auf der Hügelkuppe wehte, kühlte mein Gesicht, und ich sah, wie sich auch ihr Haar weiter unten am Hügel im Wind bewegte. John und ich beobachteten, wie sie zwei Stühle in die Nähe des Springbrunnens auf die Terrasse zog. Sie ging ins Haus zurück und kam kurz darauf mit einem Strohhut auf dem Kopf und einem Buch in der Hand zurück. Eine Frau folgte ihr, sie war groß und hatte kurzes Haar. Ich war mir nicht sicher, aber ich meinte, Tante Karla in ihr zu erkennen. Die beiden Frauen schienen zu lachen. Kurz darauf kam eine dritte Person hinzu, die sich zu

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