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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
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etwas von meinen deutschen Verwandten gesagt hat, Mrs   Brown? Wissen Sie, ob sie schon angekommen sind? Ich dachte eigentlich, meine Großeltern würden schon heute Vormittag vorbeischauen, um mich zu begrüßen. Wenigstens Tante Karla, hatte ich gehofft, würde mich besuchen.«
    Mum richtete sich auf und drückte den Rücken durch, wobei sie die Hände ins Kreuz stemmte.
    »Zu mir hat niemand etwas gesagt«, erwiderte sie. »Und Mrs   Todd hat vielleicht die Anweisung, nichts zu verraten. Vielleicht gehört das zu der Überraschung, von der dein Vater gesprochen hat.«
    »Vielleicht.« Ellen klang alles andere als überzeugt.
    Zum hundertsten Mal ging sie nach draußen, um nachzusehen, ob der Anwalt schon da war. Jedes Mal, wenn sich ein Wagen auf der kleinen Straße näherte, hellte sich ihre Miene erwartungsvoll auf, nur um einem enttäuschten Ausdruck zu weichen, wenn er an der Auffahrt vorbeifuhr.
    Unterdessen strich Mr   Brecht weiter ums Haus, erteilte den Arbeitern mit lauter und unnatürlich fröhlicher Stimme Anweisungen und verbreitete eine unbehagliche Stimmung.
    »Er ist nicht normal«, sagte Ellen, während wir Wimpel im Vordergarten aufhängten, von wo aus man die Straße überblicken und sie nach dem Anwalt Ausschau halten konnte. »Irgendwas stimmt nicht.«
    »Ellen, dein Vater ist nie normal. Er versucht, dir zur Abwechslung mal etwas anderes zu bieten, dir eine Freude zu machen. Das ist wahrscheinlich alles.«
    »Nein.« Ellen schüttelte den Kopf. »Nein. Er sieht mich immerzu an. Er weiß etwas. Er führt etwas im Schilde. Da bin ich mir sicher. Ich frage mich nur, was oder wann.«
    Sie stand auf einer Leiter und spähte über die Mauer.
    »Wo bleibt denn nur der Anwalt?«, rief sie. »Wo ist er? Warum kommt er denn nicht?«
    Ich drehte mich um und sah Mr   Brecht hinter uns stehen. Ich fragte mich, ob er uns gehört hatte, und errötete. Er fing meinen Blick auf und zwinkerte mir zu. Schnell sah ich wieder weg.
    »Auf wen wartest du, Ellen?«, fragte er.
    »Auf niemanden, Papa.«
    Er hatte einen großen weißen Umschlag in der Hand und tippte sich damit an die Hüfte.
    »Ich glaube, du lügst, Schätzchen. Ich glaube, du lügst mich schon wieder an.«
    Ellen kletterte die Leiter hinunter. Sie bemühte sich, einen lässigen Anschein zu geben, was ihr misslang. Mr   Brecht fächelte sich mit dem Umschlag Luft zu.
    »Ist der für mich?«, fragte sie und streckte die Hand danach aus.
    Mr   Brecht hielt ihn außerhalb ihrer Reichweite.
    »Nun, dein Name steht jedenfalls darauf.«
    »Bitte, Papa. Gib ihn mir, bitte.«
    »Hmm.« Mr   Brecht sah erst den Brief, dann seine Tochter an. »Du hast doch heute gewisse Dokumente erwartet, stimmt’s, Ellen? Aber du hast nichts zu mir gesagt. Warum nicht?«
    Ellen versuchte wieder, den Umschlag zu erreichen, aber er entzog ihn ihr erneut. Er lachte.
    »Warum hast du mir nichts von dem Anwalt gesagt, Schätzchen? Warum hast du dich mir nicht anvertraut? Du weißt doch, dass ich dir geholfen hätte. Du weißt, dass ich mich um deine Belange kümmere. Wenn ich gewusst hätte, dass du das Vermögen deiner Großmutter erbst, hätte ich manches anders gemacht.«
    Ellens Körper versteifte sich. »Ich habe es dir nicht gesagt, Papa, weil Mama mir eingeschärft hat, es nicht zu tun. Sie hat mich ermahnt, ich solle dir nicht vertrauen.«
    »Ellen …« Ich legte die Hand auf ihren Arm.
    Sie schüttelte ihn ab.
    Mr   Brechts Gesichtszüge spannten sich an, seine Augen verengten sich.
    Ellen beugte sich vor, sie zitterte. »Mama hat gesagt, sie will nicht, dass du mein Vermögen in die Hände bekommst.«
    Ellen und ihr Vater starrten sich einen Moment lang an. Dann hielt Mr   Brecht Ellen den Umschlag hin, und sie ergriff ihn. Als sie ihn endlich in der Hand hatte, lächelte sie. Ihr Vater machte auf dem Absatz kehrt und ging ins Haus zurück. Seine Schritte waren leicht und beschwingt.
    Ich sah Ellen an. »Warum, glaubst du, hat er so schnell nachgegeben?«
    »Keine Ahnung.«
    »Und was hat er damit gemeint, dass er manches anders gemacht hätte?«
    »Weiß nicht. Ist mir egal.«
    Sie wartete, bis er im Haus verschwunden war, bevor sie mir bedeutete, ihr zur Trauerweide in der Ecke des Gartens zu folgen, wo man uns nicht sehen konnte.
    Wie setzten uns unter dem Baum ins hohe Gras. Ellen riss den Umschlag auf und strahlte übers ganze Gesicht, während sie die darin enthaltenen Dokumente herausnahm. Zuoberst befand sich das Begleitschreiben der Anwaltskanzlei,

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