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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
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bekommst, ich hole dir rasch etwas, was dich aufwärmt.«
    Als sie in die Küche zurückeilte, sah Jago zu uns herüber.
    »Hi!«, sagte er.
    »Hallo, Trantüte«, sagte ich.
    Ellen wickelte versonnen eine Haarsträhne um den Finger.
    »Was machst du denn hier, Han? Ich dachte, du arbeitest?«
    »Wir sind schon fertig.«
    »Na ja, arbeiten kann man das ja wohl kaum nennen, was ihr da so treibt.«
    »Da irrst du dich gewaltig. Wir haben echt geschuftet.«
    »Ja, ja!« Jago rieb sich mit den Fingerknöcheln die Nasenspitze. »Du solltest dir zur Abwechslung mal einen richtigen Job suchen, dann wüsstest du, was arbeiten heißt. Aber das würdest du sowieso nicht lange aushalten.«
    »Ach ja? Zum Beispiel auf einem Boot herumwerkeln? Ein bisschen am Motor herumspielen?«
    »Kinder, Kinder!« Gemma kam mit einer dampfenden Papiertüte zurück, die sie Jago in die Hände drückte. »Ist für euch alle«, sagte sie. »Auch für Bill und Darren. Damit ihr groß und stark werdet.«
    Ellen kicherte kokett und sah auf ihren Teller. Am liebsten hätte ich ihre eine Ohrfeige gegeben.
    »Bist ’ne Wucht, Gemma. Danke!«, sagte Jago.
    Aus der angrenzenden Küche war das Pfeifen eines Wasserkessels zu hören, das sich in die übrige Geräuschkulisse des Cafés mischte – das Radiogedudel, das Gemurmel der Gäste, das Klappern von Geschirr und Besteck und das Trommeln des Regens gegen das Panoramafenster.
    »Ich habe gehört, deiner Mutter geht es nicht gut«, sagte Jago zu Ellen.
    »Ja, das stimmt.«
    »Ist sie im Hospiz?«
    »Nein, noch nicht. Aber es wird wohl nicht mehr lange dauern.«
    »Es ist ganz okay da«, meinte Jago. »Meine Mutter hat sich dort wohlgefühlt.«
    »Sie hat sich wohlgefühlt?«
    »Ja, im Ernst. Sie war dort gut aufgehoben. Sie wissen, was zu tun ist. Sie tun ihr Bestes. Es ist eine gute Einrichtung.«
    »Wie wär’s, wenn mir uns mal treffen, dann könntest du mir mehr darüber erzählen?«, fragte Ellen. »Ich kenne sonst niemanden, der in so einer Situation war, und es würde mir helfen, wenn ich wüsste, was auf mich zukommt.«
    »Na ja, wenn du meinst, dass es dir hilft …«, sagte Jago.
    Ellen hob den Blick und sah ihn an. Auf ihrem Gesicht spiegelte sich Traurigkeit und Hoffnung zugleich. Ich ertrug ihren Anblick nicht länger und sah weg.
    Ich spürte es. Ich spürte, wie sich zwischen den beiden etwas anbahnte. O ja, das war in der Tat eine Gemeinsamkeit – Jagos Mutter war in einem Hospiz gestorben, und Ellens Mutter stand es bevor –, da konnte ich natürlich nicht mithalten. Und ich glaube, in diesem Moment hatte ich eine Vorahnung dessen, was passieren würde, so wie ich es manchmal schon gespürt hatte, wenn etwas furchtbar schiefzugehen drohte. Kurzzeitig war ich durch das Sonnenlicht abgelenkt, das unvermittelt hell durchs Fenster fiel, sodass ich die Augen zusammenkneifen musste. Der Wind hatte die Wolken fortgeblasen, die Sonne schien auf das Meer und den Hafen und die Boote, die auf dem Wasser schaukelten. Ein Hund schnüffelte an den auf der Mole gestapelten Hummerkäfigen. Drei Seemöwen schwebten in perfekter Formation über dem Hafen. Plötzlich machten sie kehrt, um im Steigflug das Café zu überfliegen. Ein Frösteln überlief mich. Schon als kleines Kind hatte ich gewusst, dass es ein böses Omen war, wenn drei Seemöwen über einen hinwegflogen.
    Doch damals maß ich diesem Detail keine Bedeutung bei. Erst sehr viel später kamen mir die drei Seemöwen wieder in den Sinn, die genau in dem Moment über unsere Köpfe flogen, als Ellen den ersten Schritt auf dem Weg tat, der sie geradewegs in den Tod führen sollte.

SIEBZEHN

    N ach meiner Begegnung mit Charlotte und ihrer Freundin in dem Pastetenladen ging ich weiter die Straße hinunter zu der kleinen Bäckerei, in der hauptsächlich das Personal der Fakultät für Theaterwissenschaften, des Bristol Royal Infirmary und des Kinderkrankenhauses einkaufte. Die Unterhaltung, deren unfreiwillige Zeugin ich geworden war, ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Und je länger ich darüber nachdachte, desto unverständlicher schien mir Charlottes Handeln und desto aussichtsloser Johns Situation. Ein Widerstreit der Gefühle tobte in mir: Ich fühlte mich schuldig, weil ich einer so privaten Unterhaltung gelauscht hatte, war wütend, weil John von seiner Frau betrogen wurde, fürchtete die möglichen Konsequenzen für ihn und spürte eine vage Beklommenheit, die ich nicht näher bestimmen konnte. Ich wollte nicht, dass John verletzt

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