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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
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die Stimme heiser vor Aufregung, berührte sie ihre Kehle. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie sie den Kopf in den Nacken warf, ich sah ihre Schultern, ihre kleinen Brüste, das Goldkettchen um ihren Hals, wie sie den Atem anhielt und sich ihr schwarzes Haar wie ein Fächer über das weiße Kissen breitete. Wie sie die schlanken, festen Beine um Jagos Rücken schlang, wenn dieser sich zwischen ihre Schenkel schob. Die unglaubliche Lust, die sie einander bereiteten, die Anziehung, die sie beherrschte, den perfekten Gleichklang ihrer Körper. Sie beschrieb auch die atemlosen Momente des sexuellen Akts an sich, das Gefühl, von Jago ausgefüllt zu werden, wie er sich an ihrem verzückten Beben berauschte. Und sie erzählte mir, wie sie hinterher ihr Lachen unterdrücken mussten und wie Jago ihr »Ich liebe dich« ins Ohr flüsterte, während er mit den Lippen und den Fingern ihr Haar berührte. Ich liebe dich, Ellen Brecht, sagte er, lass uns für immer zusammenbleiben, wir werden uns lieben bis in den Tod. Ich liebe dich so sehr, dass es mich beinah umbringt, wenn ich dich verlassen muss. Ich denke jeden Moment an dich. Am liebsten würde ich allen von dir erzählen. Ich will, dass alle es wissen. Dann sagte sie: Nein, das darfst du nicht! Tu das nicht! Sag niemandem ein Wort, niemandem, hörst du!
    Ich weiß, ich weiß, erwiderte er.
    Dann schlief er ein. Er hatte einen langen Arbeitstag hinter sich und war erschöpft von der physischen Anstrengung, der Anspannung, die ihn das Hinaufklettern zu ihrem Fenster gekostet hatte, und nicht zuletzt von der Vorfreude. Ellen dagegen blieb wach. Sie war auf der Hut, beschützte ihren Liebsten vor den Gefahren der Nacht. Sie drehte sich auf die Seite, kuschelte sich mit Rücken und Po in die warme Wölbung seines Körpers, starrte zum Fenster, lauschte auf Schritte im Flur, ein verräterisches Husten. Draußen war es heller als im Zimmer. Sie sah zu, wie der Mond langsam über das Fenster wanderte. Auch wenn es sie Mühe kostete, die Augen offen zu halten, schlief sie nicht ein, solange Jago bei ihr war. Sie wusste, dass er sie bald, noch vor Morgengrauen, verlassen musste. Sie wusste nicht, wie sie Nacht für Nacht die Kraft fand, ihn aufzuwecken, ihn fortzuschicken, ihn zu verabschieden.
    Ihr Leben war ein einziges großes Drama, aufregend, gefährlich und befreiend. Ellen lebte und liebte und glühte hell wie ein Stern und glaubte, sie würde für immer leben und lieben.

DREIUNDDREISSIG

    N ach einer gefühlten Ewigkeit verzog sich das Gewitter über Bristol, und ich glitt in einen leichten Schlaf. Immer wieder träumte ich, nur um kurz darauf wieder aufzuschrecken, und sofort war die Erinnerung wieder da, an die Frau, die auf der Klippe gestanden hatte, und an die Glasstücke auf dem Grabstein. Unentwegt hörte ich Ellens Stimme. Im Halbschlaf lockte sie mich in den Spiegel. Im Hintergrund sah ich die sumpfige Heide von Trethene, und ich folgte ihr dorthin. Wir trugen beide Nachthemden, waren barfuß, und unser Haar wehte, während wir durch den Nebel wankten und immer wieder über kleine Mooshügel stolperten. Von Zeit zu Zeit schob sich eine der am Himmel dahinjagenden weißen Wolken vor den Mond, der kurz darauf wiederauftauchte.
    Ich rief nach ihr. Ellen, warte! Lass mich dich ansehen! Aber sie rannte unentwegt weiter, und der Wind trug ihr zerrissenes Schluchzen zu mir. Und obwohl ich gezwungen war, ihr zu folgen, sie nicht aus den Augen zu verlieren, wollte ich nicht, dass sie sich umdrehte. Ich wollte ihr Gesicht nicht sehen.
    In den frühen Morgenstunden ging irgendwo in der Straße eine Alarmanlage los. Ungefähr zehn Minuten lang zerriss ein ohrenbetäubendes Kreischen die Dunkelheit, dann kehrte Stille ein, ehe es von vorn begann. Ich konnte mich weder an den Lärm gewöhnen noch an die Stille dazwischen. Mir war zu warm in meinem Bett. Ich legte mich auf die Decke, aber auch das half nicht. Noch immer war meine Haut an den Stellen, wo sie nicht mit der kühlen Luft in Berührung kam, schweißbedeckt. Ich stand auf und öffnete das Schlafzimmerfenster, aber kein Luftzug drang herein. Ich begab mich in das angrenzende Wohnzimmer, das nach vorn hinausging, um für ein wenig Durchzug zu sorgen.
    Der Strom war wieder da. Wahrscheinlich hatte das die Alarmanlage in Gang gesetzt. Als ich ans Fenster trat, erblickte ich im orangefarbenen Schein der Straßenlampe zwei Männer, die sich auf dem Gehsteig unterhielten. Ihre Körpersprache sagte mir, dass etwas nicht

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