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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
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stimmte. Sie wirkten irgendwie beunruhigt. Der eine hatte eine athletische Figur, sah gut aus und hielt eine Zigarette zwischen den Fingern, während er nervös von einem Fuß auf den anderen trat. Der andere war dünner, hatte gelbe Rastalocken und sah mitgenommen aus. Seinem Gesicht nach zu urteilen, hatte er sich kurz zuvor mit jemandem geprügelt. Eigentlich wollte ich das Fenster öffnen, fürchtete jedoch, die Aufmerksamkeit der Männer zu erregen, dass sie zu mir hochblicken würden und auf die Idee kamen, ich hätte sie belauscht. Ich stellte mir vor, wie sie an der Hausmauer hinaufkletterten, durch das Fenster einstiegen und mich durch die Wohnung hetzten. Ich traute mich nicht einmal, das Licht anzumachen.
    Ich ging in die Küche im hinteren Teil der Wohnung und schob das Fenster hoch. Lily tappte auf dem Fenstersims hin und her und rieb den Kopf an meinem Handgelenk. Draußen streifte eine Katze an der Mauer entlang, die den Garten unseres Gebäudes von dem des Nachbarhauses trennte. Das Kaninchen, das den Kindern aus der Gartenwohnung gehörte, hockte in seinem Stall; durch den Maschendraht konnte ich es deutlich erkennen, was bedeutete, dass in der Wohnung Licht brannte. Vielleicht waren die Bewohner ebenfalls von der Alarmanlage geweckt worden. Vielleicht wollten sie den beiden Männern auf dem Gehsteig zu verstehen geben, dass sie wach waren. Lily sprang auf den Boden und strich mir um die Beine. Ich bückte mich, um sie zu streicheln.
    Plötzlich sehnte ich mich nach draußen, nach frischer Luft. Ich stellte mir vor, wie ich mich im Mondschein auf dem stoppligen, feuchten Rasen vor dem Kaninchenstall inmitten des achtlos liegen gelassenen Spielzeugs ausstreckte. Aber ich hatte keinen direkten Zugang zum rückwärtigen Garten und traute mich nicht, durch die Haustür ums Haus herumzugehen, solange die beiden Männer im Licht der Straßenlaterne davorstanden und offensichtlich auf jemanden oder etwas warteten.
    Ohne Licht anzumachen, ging ich zurück ins Wohnzimmer. Mit der Fernbedienung schaltete ich den Fernseher ein und drehte die Lautstärke leise. Der Fernseher war auf einen Nachrichtenkanal eingestellt; es wurde von einem Aufstand berichtet, Menschen warfen Molotowcocktails, andere wurden von Schlagstöcken getroffen, wieder andere lagen tot in einer Blutlache auf der Straße. Ich schaltete einen anderen Sender ein. Junge Männer saßen um einen Tisch herum und spielten Poker. Ich hatte keinen blassen Schimmer von Poker. Frustriert machte ich den Fernseher wieder aus. Draußen plärrte erneut die Alarmanlage, ein markerschütterndes Wehklagen wie von einem verwundeten Tier.
    Ich ging in die Küche zurück, nahm die Whiskyflasche aus dem Kühlschrank, füllte ein Glas zur Hälfte und gab Eiswürfel aus dem Tiefkühlfach dazu. Mit dem Drink in der Hand begab ich mich wieder ins Wohnzimmer und setzte mich mit untergeschlagenen Beinen in den weißen Lehnsessel. Lily war mir gefolgt, und ich nahm sie auf den Schoß. Es war immer noch dunkel. Mir war weder nach Lesen noch nach Musik noch nach Kerzen zumute, nach keinem meiner üblichen Rituale. Ich hatte zu gar nichts Lust. Ich war wie betäubt, und trotz der Hitze war mir mit einem Mal kalt. Und ich fühlte mich allein, schrecklich allein, als wäre ich der einzige Mensch auf Erden, der letzte Überlebende, dazu verdammt, als einziger Zeuge den Weltuntergang mitzuerleben.
    Es war eine lange Nacht, aber endlich wurde es Morgen. Mit einem Tuch wischte ich eine kleine Wasserlache vom Fenstersims in der Küche auf und hörte mir die Morgennachrichten auf Radio 4 an. Ich frühstückte Müsli mit Joghurt, fütterte die Katze, schrieb »Katzenstreu« auf einen Einkaufszettel und wollte gerade die Wohnung verlassen, um zur Arbeit zu gehen, als das Telefon klingelte. Es war Julia, meine Psychologin.
    »Hallo, Hannah«, sagte sie mit freundlicher Stimme, aber ohne diesen betont munteren Ton, den die meisten Therapeuten anschlugen, mit denen ich es zu tun gehabt hatte. »Ich dachte, ich rufe Sie mal an, um zu hören, wie es Ihnen geht.«
    »Okay«, erwiderte ich. »Na ja, sagen wir fast okay.« Ich klemmte den Hörer zwischen Wange und Schulter und bückte mich, um den Regenschirm aus dem Garderobenschrank im Flur zu fischen.
    »Ist etwas passiert?«
    Den Regenschirm in der Hand, kehrte ich kurz ins Wohnzimmer zurück.
    »Ich bin mir nicht sicher …«
    »Wollen Sie vielleicht darüber reden?«
    Ich nahm einen tiefen Atemzug. »Am Wochenende war ich in Cornwall.

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