Das Dornenhaus
holte sie tief Atem, und ich wappnete mich gegen den Vortrag, den sie mir nun halten würde.
»Ich glaube, du solltest einmal richtig ausspannen, Hannah. Du musst hier mal raus. Nicht nur für ein Wochenende bei deinen Eltern, ich meine einen richtigen Tapetenwechsel. Am besten im Ausland.«
»Vielleicht hast du recht.«
»Und«, fuhr Rina fort, und ihre Kunstpause sagte mir, dass sie mir eine positive Nachricht verkünden wollte, »wie es der Zufall will, hat sich eine hervorragende Gelegenheit dafür ergeben.«
»Ach ja?«
»John fährt am Mittwoch zur europäischen Kuratorenkonferenz nach Berlin. Eigentlich hatte ich vor, ihn zu begleiten, aber ich habe so viel zu tun, dass ich mir überlegt habe, meinen Platz an jemand anderen abzutreten. Und zwar an dich.«
»Mich?«
»Ja. Das wäre für uns alle die optimale Lösung. Ich kann an meinem Forschungsprojekt weiterarbeiten, und du könntest ein paar Kontakte in der internationalen Museumsszene knüpfen – und du musst unbedingt ein Netzwerk aufbauen, Hannah, wenn du deine Karriere voranbringen willst. Und John wird ganz in seinem Element sein. Du weißt ja, wie er ist. Er ist immer für alles Feuer und Flamme und braucht jemanden an seiner Seite, der ihn auf die Aspekte der Machbarkeit und der Finanzierung hinweist. Liebe Hannah, du bist genau die Richtige, um mich zu vertreten. Du wirst die Stimme der Vernunft sein, die ihm in die Parade fährt und ihn auf den Boden der Tatsachen zurückholt.«
Sie sagte es nicht, aber ich wusste, dass sie einen weiteren Aspekt im Hinterkopf hatte: dass mich eine Auslandsreise aus der Schusslinie halten würde, während die Untersuchung wegen der Beschwerde der Stadträtin lief.
Ich lächelte. »Glaubst du, John würde es nichts ausmachen, wenn er mit mir vorliebnehmen muss?«
»Im Gegenteil, er hat gesagt, er würde sich sehr freuen, wenn du ihn begleitest. Charlotte kann wegen der Kinder sowieso nicht mitfahren.«
»Also hast du bereits mit ihm gesprochen?«
»Wir machen uns ein bisschen Sorgen um dich, Hannah.«
»Klar, das verstehe ich. Wenn ihr plötzlich davon anfangen würdet, dass ihr Tote im Museum seht, würde ich mir auch Sorgen um euch machen!«
Rina zuckte zusammen. Sie öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder, ohne etwas zu erwidern.
»Tut mir leid«, beeilte ich mich zu sagen. »Das war dumm und unangemessen von mir.«
Rina schwieg einen Moment, dann sagte sie: »Hannah, wir sind doch deine Freunde. Weder beurteilen wir dich, noch wollen wir dich beeinflussen, wir wollen dir nur helfen.«
»Ich weiß, Rina.«
»Du musst mit dieser Krise, was immer auch dahintersteckt, nicht allein fertigwerden.«
»Danke.«
»Oh, du musst nicht dankbar sein. Wir tun das aus reinem Egoismus. Irgendwann werden wir dich bestimmt auch mal brauchen.«
Ich dachte an John. Und an Charlotte.
Rina spürte, dass mein Widerstand allmählich schwand. »Und Hannah, Liebes, so unangenehm ist das, worum wir dich bitten, ja auch gar nicht.«
»O nein, ganz und gar nicht.«
»Ich meine mich zu erinnern, dass du schon immer mal nach Berlin wolltest.«
Ich sah Rina strahlend an. »Stimmt.«
»Wusste ich ’s doch.«
VIERZIG
A dam Tremlett hatte sehr viel Blut verloren und lag drei Tage lang auf der Intensivstation.
Die Polizei wartete darauf, ihn verhören zu dürfen, doch als die Ärzte sie schließlich zu ihm ließen, sagte er aus, er könne sich nicht daran erinnern, was in Thornfield House geschehen sei und wie er verletzt wurde. Bei uns zu Hause entspann sich eine hitzige Diskussion darüber. Jago meinte, Mum müsse zur Polizei gehen und ihnen sagen, was sie wusste. Meine Mutter hielt dagegen, dass sie ihre Informationen nur aus zweiter Hand habe. Sie sei schließlich nicht direkt dabei gewesen. Als sie in Thornfield House eingetroffen sei, sei Adam bereits mit dem Krankenwagen abtransportiert worden und sie habe weder Ellen noch ihren Vater gesehen. Mum wusste nur, was Mrs Todd ihr erzählt hatte, während die beiden Frauen zusammen im Salon sauber gemacht hatten, nämlich dass Adam Tremlett ins Haus eingedrungen sei und Peter Brecht ihm den Schürhaken auf den Kopf geschlagen habe. Mrs Todd wusste nicht, ob Adam Tremlett Mr Brecht bedroht oder ihn zuerst angegriffen hatte. Also konnte sie auch nicht beurteilen, ob Mr Brechts Tat ein Akt der Selbstverteidigung war. Einige der Stammgäste des Smugglers’ Rest konnten immerhin bezeugen, dass sich Mr Brecht Sorgen gemacht hatte, weil bereits mehrmals
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