Das Dornenhaus
ins Wohnzimmer. Da er die Tür hinter sich zugemacht hatte, lauschte ich am Schlüsselloch. Mum weinte zwar nicht – sie weinte nie –, aber ihre Stimme bebte.
»Du hättest das Blut sehen sollen, Malcolm«, sagte sie. »Ich habe den Boden geschrubbt und geschrubbt, aber der Fleck ist nicht weggegangen. Das Blut war bereits ins Holz gezogen. Es wird nie wieder rausgehen.«
»Was ist mit Adam Tremlett?«, fragte Dad. »Wo ist er jetzt?«
»Im Krankenhaus. Es heißt, dass er ein Auge verlieren wird.«
Ich schlug mir die Hand vor den Mund.
»Und Ellen hat alles mitbekommen«, sagte Mum. »Mr Brecht hat Adam Tremlett dabei erwischt, wie er im Schreibtisch etwas suchte, und ihm mit dem Feuerhaken auf den Hinterkopf geschlagen. Mrs Todd sagt, er hätte ihn umgebracht, wenn Ellen nicht dazwischengegangen wäre.«
»Großer Gott.«
»Das arme Mädchen war über und über mit Adams Blut befleckt, stell dir das mal vor, Malcolm!«
Meine Mutter hatte die Stimme zu einem Flüstern gesenkt. Ich verstand nur noch einzelne Wortfetzen: zerbrochen, zertrümmert, Spiegel, umgedreht, herausgerissen. Dann hörte ich, wie die Hintertür aufging, und Jago rief: »Hallo, ist jemand da?«
Ich richtete mich auf und begab mich in die Küche. Jago stand vor dem Kühlschrank und blickte hinein. Mit einer Milchflasche in der einen und einem Teller mit Schinken und dem Senfglas in der anderen Hand drehte er sich zu mir um.
»Hannah? Was ist los?«
Ich schüttelte den Kopf. Zunächst brachte ich kein Wort heraus, wusste nicht, wie ich anfangen sollte.
»Ist was mit Ellen?«, fragte er.
Ich nickte.
»Herrgott, was ist passiert? Was hat der Psycho getan?«
»Es ist nicht seine Schuld! Mr Brecht hat Adam Tremlett in Thornfield House beim Herumschnüffeln erwischt!«
Jago stellte Flasche und Teller auf den Küchentisch und trat zu mir.
»Was ist mit Ellen?«
Ich stampfte verzweifelt mit den Füßen auf den Boden, wusste nicht, wie ich es ihm erklären sollte. Trixie fiepste und verzog sich unter den Küchentisch.
»Geht es ihr gut, will ich wissen!«, schrie Jago. »Ist mit Ellen alles okay? Verdammter Mist, so erzähl endlich, was genau passiert ist!«
Er riss die Hintertür auf und wollte hinausstürmen, aber ich packte ihn am Arm und hielt ihn zurück. »Nein! Nein, Jago, geh nicht zu ihr, bleib hier!«, schrie ich, doch er schüttelte meine Hand ab und war bereits in der Dunkelheit verschwunden.
Durch den Lärm alarmiert, kam mein Vater in die Küche, fand mich weinend vor und rannte hinter Jago her. Kurz darauf kehrten beide wieder zurück. Thornfield House war verlassen. Mr Brecht, Ellen und Mrs Todd waren offensichtlich abgereist.
NEUNUNDDREISSIG
R ina half mir, aufzustehen und mich wieder auf den Stuhl zu setzen.
»Ruh dich erst mal aus«, sagte sie. »Entspann dich.«
»Tut mir leid.«
»Ist schon okay. Es ist ja nichts passiert. Ich wette, du hast nichts zu Mittag gegessen.«
»Ich hatte keine Zeit …«
»Deswegen bist du ohnmächtig geworden. Oder gibt es, abgesehen von deinem zu niedrigen Blutzuckerspiegel, noch ein anderes Problem?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe gestern Nacht eine Schlaftablette genommen. Wahrscheinlich wirkt sie noch nach.«
»Hat dir der Arzt das Medikament verschrieben?«
Ich schämte mich und fühlte mich hundsmiserabel. »Nein, das heißt nicht in letzter Zeit. Es war eine der Tabletten, die mir verschrieben wurden, als es mir so schlecht ging.«
»O Hannah!«, sagte Rina. »Was ist nur los mit dir? Zwei Zusammenbrüche in den letzten zwei Wochen, und dann nimmst du auch noch dieses fragwürdige Medikament ein … Das passt gar nicht zu dir. Allmählich fange ich an, mir Sorgen um dich zu machen.«
»Tut mir leid«, sagte ich erneut.
Sie schob mir eine Schachtel Vollkornkekse hin. Ich nahm sie, löste die Verpackung und knabberte an einem Keks. Mein Mund war trocken, aber der Zucker vertrieb wenigstens die Übelkeit.
»Was war denn damals los mit dir?«, wollte Rina wissen.
»Was meinst du?«
»Du hast gesagt, die Schlaftabletten sind aus der Zeit, als es dir so schlecht ging.«
»Oh, nichts Besonderes. Ich hatte einfach zu viel Stress.«
»Das war alles?«
Ich nickte.
»Das kann passieren. Weißt du, ich bin beinah erleichtert zu hören, dass du nicht ganz so perfekt bist, Hannah. Du scheinst so mühelos durchs Leben zu spazieren.«
Ich musste fast lachen. Ach Rina, dachte ich, wenn du wüsstest.
Rina ergriff meine Hände und rieb sie. Dann
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