Das Dornröschen-Projekt - Krimi
angeboten.«
»Seid ihr wahnsinnig?«
Ein Satz fiel ihm ein, den er vor einer roten Ampel gelesen hatte: »Der Edle geht unbeirrbar den rechten Weg; er ist aber nicht stur.« Er musste lächeln. »Wir haben keine Wahl mehr. Täten wir nichts, wäre es wahrscheinlich gefährlicher.« Er trank und wischte sich den Milchschaum von der Oberlippe. »Es ist ein Scheißgefühl, wenn du immer damit rechnen musst, dass dir einer ans Leder will. Wenn wir die Erpelgeschichte nicht zu Ende bringen, wird das vielleicht für den Rest meines Lebens so sein. Ich mag aber nicht ewig Angst haben. Das macht einen fertig.«
Ein Pärchen in Begleitung einer älteren Frau betrat das Café. Junges Glück plus Schwiegermutter auf Besuch. Sie trug ein schwarzes Kostüm, das in seiner Schlichtheit mörderisch teuer aussah. Das junge Glück hielt sich an der Hand und trug Jeans und T-Shirts, eine Art Partnerlook. Matti beobachtete sie, wie sie einen Platz suchten, bis die Mutter auf einen Tisch deutete und ihn mit entschiedenen Schritten ansteuerte, ohne sich auf Erörterungen einzulassen. Sie würde natürlich auch die Rechnung bezahlen.
Lily schaute ihn melancholisch an. »Ich fürchte, du redest dir was ein. Wenn ihr aufhört, dann wird Gras über die Sache wachsen, schneller, als du glaubst. Aber wenn ihr weitermacht, geht es schief. Du glaubst doch selbst nicht, dass sich solche Leute aufhalten lassen von einer WG , die aus der Zeit gefallen ist.«
Er lachte. Die Formulierung passte. Ja, sie waren aus der Zeit gefallen, weil die Zeit immer mieser wurde, weil sie ihnen alle Hoffnungen rauben wollte. Er konnte es nicht übel finden, Träume zu bewahren, viel mehr hatten sie doch nicht. Das war tausend Mal besser, als die Anpassernummer zu spielen, den Geläuterten zu geben. Als die eigene Biografie zu verachten. Die Wirklichkeit war ohnehin ein Konstrukt, eine gesellschaftliche Übereinkunft. Und morgen gab’s ein neues Konstrukt. Warum sollten sie sich auf diesen oder einen anderen Konsens einlassen? Warum sollten sie auf eine eigene Wirklichkeit verzichten? Ihre war besser als die der anderen.
»Du machst dir zu viele Sorgen«, sagte er und kam sich blöd vor.
»Oh, Entschuldigung. Tut mir leid, dass mir was an dir liegt. Ich habe keine Lust, in die Pathologie geholt zu werden, um dich und deine Freunde zu identifizieren. Du magst das … geschmäcklerisch finden …«
Er nahm ihre Hand und drückte sie. »Wir kriegen das hin.«
»Was wollt ihr von dem?«
Matti überlegte eine Weile. Er konnte sie nicht so abspeisen. Er hatte Angst, dass sie gleich aufstand und ging. Er hing doch an ihr.
»Wir haben ihn hereingelegt«, sagte er schließlich. »Ohne uns kommt er nicht raus aus der Sache.«
»Da seid ihr euch so sicher?«
Er nickte bedächtig. Hundertprozentig sicher war er sich nicht. Nicht auszuschließen, dass denen noch eine Sauerei einfiel.
»Und womit habt ihr ihn in der Hand?«
Er schüttelte den Kopf. »Du solltest das nicht wissen. Es ist besser für dich.«
»Der schöne alte Paternalismus«, sagte sie. »Ich habe schon immer Männer gemocht, die wussten, was gut ist für mich und was schlecht. Vielen Dank, dass du mir das Denken abnehmen willst.« Sie zog ihre Handtasche zu sich und schaute sich um.
»Bleib«, sagte er. »Du hast von dem Bombenanschlag gehört?«
»In Köpenick?«
Er nickte. »Der Erpel wird verdächtigt, damit zu tun zu haben. Seine Fingerabdrücke wurden am Tatort gefunden, obwohl er, wie ich annehme, stur behauptet hat, nie dort gewesen zu sein.«
Ihre Augen weiteten sich. »Du willst damit sagen, dass ihr eine Bombe gelegt habt und es euch gelungen ist, es diesem Entenmann unterzujubeln.«
Er hob die Augenbrauen und die Hände einen Augenblick.
»Und wie habt ihr das hingekriegt?« Entsetzen klang mit.
Wieder die Augenbrauen und die Hände.
»Ihr habt seine Fingerabdrücke irgendwie dort hinterlassen. Ihr habt eine Bombe gezündet, nur um es ihm in die Schuhe zu schieben. Ist dir eigentlich klar, was alles hätte passieren können?«
»Nicht um diese Zeit.«
»Ihr seid doch völlig irre.«
Er lachte, aber es klang gezwungen.
»Und wie soll das weitergehen?« Sie schnippte nach der Kellnerin, die gerade an einem anderen Tisch kassierte. Als sie schaute, deutete Lily auf ihr Weinglas. »Ich sollte mir einen doppelten Whisky bestellen, vielleicht begreife ich den Unsinn dann.«
»Wir haben keine Wahl«, sagte Matti.
Sie schüttelte den Kopf. »Ihr seid so was von bescheuert.«
Sie
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