Das Drachenkind (Die Drachenschwestern Trilogie) (German Edition)
Er
wedelte und leckte ihr kurz über die Hand. Er hatte nur sicherstellen wollen,
dass sie sich nicht ausgeschlossen fühlte.
Miri
legte ihr Werkzeug und das Material zur Seite und streckte ihren Rücken durch.
Inzwischen war sie im sechsten Monat schwanger und fühlte sich pudelwohl. Der
Bauch war inzwischen deutlich sichtbar, störte sie aber nicht groß in ihrer
Bewegungsfreiheit. Sie hoffte, dass das so blieb. Nur die neu aufgetretene
Kurzatmigkeit bereitete ihr Mühe. Geprägt von ihren jahrelangen Asthmaanfällen
wurde sie schnell panisch, wenn sie das Gefühl hatte, nicht genügend Luft zu
bekommen. Das war inzwischen bei der kleinsten Steigung der Fall. Selbst das
Wissen, dass das ganz normal war in dieser Phase der Schwangerschaft, half
nicht wirklich. Aus diesem Grund ärgerte sie sich, dass sie das Telefon im
ersten Stock liegen gelassen hatte. Es klingelte nämlich schon wieder. Sollte
sie jetzt wirklich hoch gehen und es holen?
„Würde
sich vielleicht jemand mal um das verdammte Telefon kümmern? Es gibt Leute, die
versuchen hier zu schlafen.“ Adrian. Als wenn er nicht überall schlafen könnte.
Aber er hatte einen Narren an ihr gefressen und war nun fast ausschließlich im
Pächterhäuschen anzutreffen.
Sie
schmunzelte. Am letzten Abend in Frankreich hatte sie sich mit Josephine
ausgiebig über ihre Geisteraffinität unterhalten. So wie es aussah, konnte ihr
das jederzeit passieren, dass irgendwelche verirrten Seelen bei ihr Hilfe
suchten. Sie hoffte nur, dass sie das dann erfolgreicher anstellte als bei
Adrian. Sollten alle beschließen hierzubleiben, würde sie noch anbauen müssen.
Insgeheim freute sie sich nach wie vor über seinen Entschluss, ihr noch ein
Weilchen Gesellschaft zu leisten.
Jetzt
erschien er mit einem finsteren Gesichtsausdruck auf der Veranda und hielt ihr
das immer noch klingelnde Telefon hin.
„Danke
schön. Ich weiß das zu schätzen.“
Großzügig
winkte er ab. „Schon gut, schon gut. Gerne.“ Das Telefon läutete weiter. „Aber
könntest du das verfluchte Ding endlich ruhigstellen?“ Er funkelte das Teil
erbost an.
Miri
nahm ab. „Hallo?“
„Hallo
Miri, meine Lieblingsnichte.“ Sie stutzte. Ihr Onkel. In einem für ihn völlig
untypischen jovialen Tonfall. Woher hatte er überhaupt diese Nummer?
Wahrscheinlich aus dem Internet, sagte sie sich.
„Was
willst du?“
„Ich
wollte mich entschuldigen. Das letzte Mal, als wir uns sahen, sind wir wohl
nicht im Besten auseinander gegangen.“
Ungläubig
starrte Miri den Hörer an, bevor sie ihn wieder ans Ohr hielt. „Das ist die
Untertreibung des Jahres.“
„Stimmt,
stimmt. Deshalb dachte ich, ich könnte dich auf einen kleinen Kaffee einladen.
Um dir alles zu erklären und Frieden zu schließen.“
Miri
glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Sie wollte ihm schon sagen, was sie von seinem
Friedensangebot hielt, als er noch hinzufügte: „Schließlich sind wir Familie.
Und mit dem Kleinen, das unterwegs ist.“
Sie
schluckte die Verwünschungen, die schon auf ihrer Zunge lagen hinunter und
dachte nach. Was, wenn er es ehrlich meinte? Vielleicht könnten sie tatsächlich
einen Neuanfang schaffen. Wäre es das nicht wert?
„Das
ist jetzt nicht dein Ernst“, mischte sich jetzt Maxi mit zischender Stimme ein.
„Das ist der Mann, der dich jahrelang schlecht behandelt und dich zum krönenden
Abschluss geschlagen, ernsthaft verletzt und eingesperrt hat.“
Miri
wedelte mit der Hand, um ihr zu bedeuten, sich nicht einzumischen.
Adrian
hatte ebenfalls mitgehört. Das was er gehört hatte, ließ ihm die Haare zu Berge
stehen. Die Worte an sich ergaben für ihn keinen Sinn. Er hatte keine Ahnung,
wovon der Mann sprach. Allerdings kannte er dessen Stimme von irgendwoher. Wenn
ihm doch nur einfallen würde, wo er sie schon einmal gehört hatte. Er presste
zwei Finger auf seine brennenden Augen. In letzter Zeit wurde sein Gedächtnis
immer schlechter. Erinnerungen verschwammen zu einem Nebel. Wirklich lästig.
Vor allem in einer Situation wie dieser. Seine Intuition, die nach wie vor
hervorragend funktionierte, signalisierte ihm deutlich Gefahr in großen
blinkenden Neonbuchstaben.
Miri
bekam von seiner Aufregung nichts mit. Sie war zu sehr damit beschäftigt, sich
zu einer Entscheidung durchzuringen und ihrer Drachin aus dem Weg zu gehen. Zu
ihrer eigenen Überraschung hörte sie sich zustimmen. „Also gut. Soll ich nach
Zürich kommen?“
„Nein,
nein. Ich komme in deine Nähe. Wir waren schon ewig nicht
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