Das Drachentor ("Drachenkronen"-Trilogie) (German Edition)
mit dir?«, fragte Ibis, nachdem sie sich – für ihre Verhältnisse – lange still hinter Rolana gehalten hatte.
Rolanas Augenlider hoben sich. Ihr Blick kehrte langsam aus der Ferne zurück, bis er die Elbe fixierte.
»Nein, sprechen ist nicht der richtige Ausdruck. Dies ist ein heiliger Ort, der Soma in einer Zeit geweiht wurde, da Ehniport kaum mehr als eine Hüttensiedlung war. Soma ist diesem Ort noch immer verbunden. Spürst du seine Nähe nicht?
Rolana strich mit der Hand über eine verwitterte Statue, deren Gesichtszüge nicht mehr zu erkennen waren, doch der feingliedrige Körperbau und der Faltenwurf des Gewandes verrieten, dass sie von Meisterhand geschaffen worden war.
»Welche Wunder hier wohl verbracht worden sind? Welche heiligen Feste gefeiert wurden?«
»Die Ereignisse, an die ich mich erinnern kann, würde ich weder als heilig noch als wundervoll bezeichnen«, murmelte die Elbe. Ihre Hand glitt immer wieder zu ihrem Schwertgriff. Ihr Blick huschte zu den dunklen Nischen, in denen sich die Schatten bereits verdüsterten.
»Was ist mit dir? So kenne ich dich gar nicht. Du bist ganz unruhig.«
»Rolana, ich habe dir gesagt, dass dies hier kein guter Ort ist. Ich verstehe ja nicht viel von deinem Gott, aber hier kann er nicht sein.«
»Soma ist überall, wo wir sind.«
Die Elbe zog eine Grimasse. »Dann hättest du auch im Gasthaus beten können. Komm jetzt, wir sollten aufbrechen. Die Sonne geht bald unter.«
»Ja, gleich. Sieh nur, wie kunstvoll dieser Bogen gearbeitet ist. Und hier sieht man noch die Reste der Malerei.«
Ehrfurchtsvoll strich sie mit den Fingerspitzen die Muster nach. Sie legte ihre Hand in eine Vertiefung und schloss die Augen. Ja, hier konnte sie die göttlichen Schwingungen spüren. Soma war ihr nahe. Sie begann leise zu summen. Die Mauern und Säulen und der mit Unkraut überwucherte Hof verschwanden in einer Wolke aus schimmerndem Nebel, silbern wie das Licht des Mondes.
Ibis blieb unter dem Bogen stehen. Sie fluchte leise und zog ihr Schwert aus der Scheide. Mit wachsamem Blick umrundete sie die zerfallene Säulenhalle.
Rolana trat, tief in ihre Meditation versunken, in den Hof. Mit dem Fuß schob sie ein paar dürre Blätter und Zweige von einer Steinplatte, um die Inschrift entziffern zu können. Sie war in der alten Sprache geschrieben, die die Menschen in der Zeit nach dem Feuersturm noch gekannt hatten, von der Rolana aber nur ein paar Worte wusste. Sie versuchte anhand der ihr bekannten Symbole den Sinn der Botschaft zu entschlüsseln, als eine fremde Stimme sie zusammenzucken ließ.
»So allein zu dieser Stunde, schönes Kind? Und noch dazu an einem solch einsamen Ort?«
Rolana fuhr herum und wich zwei Schritte zurück. Stumm betrachtete sie den Mann, der sich aus dem Schatten einer Nische löste und langsam näher kam.
Er war noch jung und nach Art der Edelmänner mit Kniehosen und langen Stulpenstiefeln bekleidet. In den Falten des mit Spitzen besetzten Hemdes funkelte ein Diamant. Sein langes, dunkles Haar hatte er im Nacken zusammengebunden. Nur ein paar Locken ringelten sich über Stirn und Schläfen. An seiner Seite ragte der reich verzierte Griff eines Schwerts aus der Scheide.
»Ich würde Euch gern meine Dienste anbieten. Ein Fräulein wie Ihr sollte wissen, dass es gefährlich ist, ohne Schutz außerhalb der Mauern von Ehniport unterwegs zu sein.«
Rolanas Nackenhaare stellten sich auf, auch wenn sie nicht sagen konnte, was sie an ihrem Gegenüber beunruhigte. Seine Stimme klang höflich und sanft.
Er hob den Ellbogen. »Darf ich Euch meinen Arm anbieten?«
Noch ehe Rolana etwas erwidern konnte, schallte Ibis' Stimme über den Hof. »Nein, darfst du nicht! Lass deine dreckigen Finger von ihr und geh in das Loch zurück, aus dem du gekrochen bist!«
Der Mann drehte sich bedächtig um, die Hand am Schwertgriff. Leise pfiff er durch die Zähne, als er Ibis mit gezogener Klinge auf sich zukommen sah.
»Wenn das nicht das kleine Spitzohr namens Ibis ist. Kommst du reumütig zurück in Papas Schoß?«
Die Elbe spuckte auf den Boden. »Wenn das nicht der große Feigling namens Querno ist«, äffte sie ihn verächtlich nach. »Der Kerl, der seine Freunde betrügt und sich dann hinter den Rock des mächtigen Papa Ferule flüchtet.«
»Du irrst dich, Spitzohr«, schnurrte Querno. »Der mächtige Ferule ist entthront. Ich bin der Herrscher der Unterwelt.« Er legte die Hand an die Brust und deutete eine Verbeugung an. Rolana versuchte, sich
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