Das Drachentor ("Drachenkronen"-Trilogie) (German Edition)
gegenüberliegenden Seite durch einen Torbogen. Astorin sah ihr verblüfft nach und beeilte sich, sie einzuholen. Sie folgte einem Gang und stieg eine kurze Treppe hinunter. Unten war ein kleiner Vorplatz, von dem zwei Türen wegführten. Eine Lampe hing an einem Haken und erhellte den Raum. Tonya ging an den Türen vorbei und blieb vor einem in Stein gemeißelten Relief stehen, das zwei menschengroße Figuren zeigte, die die Hände über einem gesenkten Schwert aufeinandergelegt hatten. Im Hintergrund erkannte man einige Reiter und eine Burg auf einem Hügel.
Tonya öffnete die Augen und wandte sich dem Magier zu, der gerade die Treppe herunterkam.
»Ich bin mir sicher, dass er durch dieses Relief gegangen ist«, sagte sie. »Es muss eine Geheimtür sein.«
Ein Schatten huschte an ihnen vorbei. Tonya sprang einen Schritt nach vorn, als der Wolf an ihr vorbeiglitt und sich vor die Steinplatte setzte. Er zog die Lefzen hoch und entblößte seine Fänge. Ein tiefes Knurren drang aus seiner Kehle.
»Du scheinst mit deiner Vermutung richtig zu liegen«, gab der Magier widerstrebend zu. Er spreizte die Finger und hob die Hände.
»Was habt Ihr vor?«, rief Tonya und stellte sich zwischen ihn und den weißen Wolf.
»Diese Bestie beseitigen, die uns den Weg versperrt, was sonst?«, erwiderte er erzürnt. »Geh zur Seite!«
»Nein!«, rief sie. »Lasst es mich versuchen.«
Tonya drehte sich zu dem weißen Wolf um und sah ihm in die gelben Augen. Sie tastete nach dem Amulett unter ihrem Kleid und murmelte die Formel des Dämonen. Der Wolf zuckte nervös mit den Ohren. Das Knurren verstummte. Tonya begann leise zu singen und trat näher. Sie streckte langsam die Hand aus. Der Wolf rührte sich nicht. Er sah sie aufmerksam, aber nicht mehr drohend an. Ihre Fingerspitzen berührten sein weiches Fell. Wie erstarrt blieb er sitzen. Sie legte die Hand auf seinen Kopf und wiederholte ihre Worte.
Was für ein wundervolles Tier, dachte sie. Wie weich, stolz und kraftvoll. Sie spürte etwas, das sich wie Neid anfühlte. So einen Freund würde sie gern besitzen. Der Wolf brummte leise, doch es klang nicht bedrohlich. Tonya wandte sich zu Astorin um.
»Er wird Euch nichts tun, solange ich in der Nähe bin. Ihr könnt näher kommen, damit wir mit der Suche nach dem Mechanismus beginnen.«
In dem Blick, den Astorin ihr zuwarf, lagen Respekt und ein wenig Misstrauen. Der Wolf sträubte zwar das Fell, als der Magier näher kam, und er knurrte leise, doch er rührte sich nicht von der Stelle. Astorin untersuchte das Wandbild, tastete es ab und sprach einen Erhellungszauber, aber er konnte den Mechanismus nicht erkennen.
»Uns läuft die Zeit davon. Tritt zurück. Ich werde es zerstören.«
Tonya sah den Wolf an und sprach leise auf ihn ein. Er erhob sich, sah erst sie, dann den Magier an und wandte sich zum Schluss dem Bild zu. Er drückte seine Nase auf den Griff des Schwerts und berührte danach den rechten Sporenstiefel des Ritters. Das Wandbild erzitterte und sprang ein wenig vor. Ohne das kleinste Geräusch schwang es von links her einen Spalt weit auf. Der Wolf jaulte, zwängte sich durch den Spalt und war verschwunden. Astorin nahm die Lampe vom Haken.
»Nun, dann lass uns sehen, dass wir weiterkommen.«
Tonya schüttelte den Kopf. »Nicht in dem Kleid.«
»Was?«
»Ich kann nicht in diesem ausladenden Kleid durch unterirdische Gänge kriechen. Wer weiß, was uns erwartet. Ich werde mir erst etwas Praktischeres anziehen.«
»Dafür ist keine Zeit«, schimpfte der Magier. »Das kommt davon, wenn man sich ein nutzloses Weib aufhalst! Ich werde nicht auf dich warten.«
Tonya hielt dem Blick seiner tiefliegenden schwarzen Augen stand. »Gut, wenn Ihr meint. Aber unterschätzt den Wolf nicht ! Er ist zwar nicht untot, aber auch kein gewöhnliches Tier.«
Ohne seine Flüche zu beachten, wandte sie sich ab, raffte die grünseidenen Röcke und stieg die Treppe hinauf. Sie war sich sicher, dass der Magier schimpfen und sie vielleicht verfluchen würde, doch vernünftig genug war, nicht ohne den Beistand ihrer Kräfte in das Verlies der Burg hinabzusteigen, um den Vampir in seinem Tagesversteck aufzusuchen.
12
Herzog Rudolf von Ingerstein
Es war ein mühsamer Ritt mit den Gefangenen und den Kindern nach Theron zurück, nicht nur, weil es auf beiden Seiten Verwundete gab. Die Dörfler wüteten oder schwiegen und verboten den Jungen, mit ihren Bewachern zu sprechen. Das Mädchen sagte sowieso kein Wort. Vielleicht war es
Weitere Kostenlose Bücher