Das Drachentor
war das Gewirr des Kampfes, wilde Drachen und, irgendwo zwischen alledem, Yelanah, die nach ihm rief. Dann schlug ihm erneut etwas gegen den Kopf, einmal, zweimal, und das Licht verschwamm vor seinen Augen.
Träge schlängelte sich der Rauch aus den Flammen. Er stieg zur Decke der Hütte auf und tauchte den Raum in nebliges, warmes Gelb.
Khaleios atmete tief ein. Fast glaubte er zu spüren, wie der Rauch ihm durch die Nase stieg hoch in die Stirn bis in den Hinterkopf und seine Sinne auf angenehme Weise lähmte. Mit geschlossenen Augen griff er in den geöffneten Lederbeutel zu seinen Füßen und warf eine neue Handvoll der violetten Samenkörner ins Feuer. Die Flammen knisterten, kleine Funken sprangen in die Höhe. Der gelbe Rauch wurde dichter und füllte ihm den Kopf mit wattiger Stille.
Wie von selbst tauchten seine Finger die Feder in das Tintenfässchen und setzten sie auf das Papier. Und wie von selbst begann sie zu schreiben; in großer, geschwungener Schrift flossen die Worte dahin und das Papier saugte gierig die Tinte auf. Khaleios spürte, wie die Visionen ihn durchströmten. Er sah ihn, den Menschenjungen. Sah seinen Geist. Er war ehrgeizig und verbissen, erfüllt von dem kalten Machtdurst, den nur ein Mensch im Herzen tragen konnte. Der Ahirah, der Mächtigste von allen, bereitete sich auf sein Schicksal vor. Er würde ein ganzes Volk in den Untergang stürzen. Und zwar sein eigenes.
Khaleios wusste, dass das Ende der Menschen nahte - nicht das der Elfen. Er fühlte es ganz genau. Der Menschenjunge bereitete sich auf einen Kampf gegen seinesgleichen vor. Und er würde in diesem überirdischen Kraftaufwand, bei dieser blutigen Tat sterben.
Khaleios’geschlossene Augen zuckten, während seine linke Hand unaufhörlich weiterschrieb. Das Leben lässt er durch die Rache seiner Liebsten: Vergiftet wird er von seinem engsten Verwandten. Verraten vom besten Freund. Erdolcht von seinem größten Bewunderer.
Und so stand es über den Menschenjungen geschrieben, im heiligen Nir Miludd.
Aus weiter Ferne spürte er, wie jemand seine Hände packte. Revyn hörte raue Stimmen in die Stille seiner Gedanken dringen, doch sie hatten ihren Sinn längst verloren, als er sie vernahm. Ein seltsamer Druck verschwand plötzlich von seiner Wange. Dass ihn jemand aufhob und wieder zu Boden warf, nahm er nur wie im Traum wahr.
Tage und Nächte schienen zu vergehen. Einmal öffnete er blinzelnd die Augen und spürte, dass der Boden und er selbst hin und her schwankten. Über ihm war ein Holzgitter und dahinter nichts als flimmerndes, unwirkliches Grau.
Das stetige Pochen in seinem Hinterkopf holte ihn schließlich ins Bewusstsein zurück. Er stöhnte vor Schmerz. Seine Zunge fühlte sich geschwollen an. Erst im zweiten Moment fiel Revyn ein, woher der Schmerz kam - ihm war ein Stein gegen den Kopf geschlagen worden. Sein Blick wurde klarer. Wieder tauchten über ihm das Holzgitter und der graue Hintergrund auf.
Wo war er?
Revyn versuchte, sich aufzurichten, doch ein Schwindelanfall raubte ihm das Gleichgewicht. Er stieß schwer mit der Schulter gegen Holzstäbe. Dort wo der Pfeil ihm in die Haut gedrungen war, durchfuhr ihn ein heißes Ziepen.
Sein Blick wanderte an den Holzstäben entlang. Wo …
Er war in einem Holzkarren. Er hob die Hände und stellte entsetzt fest, dass sie gefesselt waren.
»Wo … wo bin ich?«, stammelte er. Er drehte sich um. Hinter den Gitterstäben erstreckte sich eine endlose Hügel- und Felslandschaft. Ein weiter grauer Himmel überspannte das Land. Neben dem Karren, davor und dahinter ritten Männer auf stämmigen Pferden. Auch Karren wie der, in dem Revyn saß, fuhren in der langen Karawane. Revyn strengte die Augen an. Drachen schienen in den restlichen Karren zu liegen. Er konnte nicht sehen, ob sie verletzt oder tot oder bewusstlos waren, denn die Männer versperrten ihm die Sicht.
Er klammerte sich an die Gitterstäbe. »Wo bin ich? Wer seid ihr? Wo bringt ihr mich hin?!«
Die Reiter schenkten ihm nur dunkle Blicke. Revyn holte zitternd Luft. Es waren Myrdhaner.
Er hätte die Reiter eher erkennen müssen. Sie saßen auf den Wildpferden der Steppe, so wie die Krieger in der Schlacht. Sie trugen auch die Wolfsfelle, die er an den Myrdhanern im Krieg gesehen hatte. Sie hatten dieselben kantigen Gesichter und dieselben dunklen Haare. Doch kein Reiter in der Karawane schien älter als zwanzig. Die meisten mussten in Revyns Alter sein oder waren noch jünger.
Seine Gedanken
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