Das Drachentor
der glorreichen Schlacht in Myrdhan«, bat Jale schließlich und legte sich eine Scheibe Lammbraten auf den Teller, ohne König Helrodir aus den Augen zu lassen.
»Es war grässlich«, sagte Helrodir, »und zugleich wunderschön. Selten im Leben liegen Präzision und Chaos, Gehorsam und Anarchie, Berechnung und Wahnsinn so nah beieinander wie im Krieg. Die Schlacht ist einerseits so simpel: Töte deine Feinde, beschütze deinen König. Und andererseits ist wohl nichts komplizierter. Aber ich will nicht versuchen, den Krieg in Worte zu zwingen, denn dazu ist er eine zu mächtige Gewalt. Man muss ihn selbst erleben. So ähnlich wie die Liebe.«
Königin Jale griff nach ihrem Weinkelch. »Auf den Krieg. Auf Haradons Sieg und seine Freundschaft zu Awrahell.«
Octaris erhob seinen Kelch ebenfalls. »Ich setze noch die Liebe dazu. Denn ist die Liebe nicht die Schwester des Krieges und der Freundschaft?« Er lächelte Helrodir an.
König Helrodir prostete ihm zu und die Erwachsenen tranken. »Und wie sieht es in Awrahell aus?«, erkundigte Helrodir sich dann, während er sich ein Stück Braten in den Mund schob. »Haben die Aufstände im Norden sich gelegt?«
»Vor Jahren schon«, sagte Jale rasch. »Alle Völker und Kulturen in unserem schönen Reich leben friedlich zusammen.«
»Wenn meine Tochter regiert, wird der Frieden eintreten«, sagte Octaris schlicht. Jale warf ihm einen zornigen Blick zu.
»So, unsere kleine Ardhes?« Helrodir runzelte die Stirn, doch er sah Ardhes nicht an. »Und was ist mit den elfischen Attentätern in Oroga und den anderen Handelsstädten? Kam es noch zu Anschlägen?«
»Nein«, lächelte Octaris. »Sie wurden alle geköpft.«
»Gut.« König Helrodir kaute. Eine Weile war nichts anderes zu hören. »Wisst ihr, in Haradon wird das Elfenproblem immer größer. - Ich will Euch damit natürlich nicht zu nahe treten, Octaris, Ihr versteht gewiss, was ich meine. Sicher stimmt Ihr mir zu, wenn ich sage, dass die Elfenstämme der haradonischen Tiefwälder wild und unberechenbar sind. Es ist eben eine andere Elfenart als hier in Awrahell, nicht wahr? Die Myrdhaner sind schließlich auch Menschen, trotzdem sind es grausame Barbaren.« Octaris nickte höflich.
Helrodir trank einen Schluck Wein. »Nun, jedenfalls ziehen immer mehr Elfen aus den Wäldern in unsere schönen Städte. Gewalt und Verbrechen herrschen in den Straßen. Und wie sollen wir die vielen zusätzlichen Mäuler stopfen? Immer wieder bricht eine Hungersnot aus. Wenn es so weitergeht, führen wir den nächsten Krieg in unserem eigenen Land, nämlich gegen die elfischen Ausbeuter.«
Wieder folgte Schweigen. Ein Diener schenkte König Helrodir Wein nach. Ardhes spielte mit den Erbsen auf ihrem Teller und rollte sie hin und her, ehe sie sie Stück für Stück aufspießte und mit den Vorderzähnen in zwei glatte Hälften biss. Dann erhob sich ihr Vater und schob seinen Stuhl zurück. Steif und mit ausdrucksloser Miene verneigte er sich vor Helrodir.
»Entschuldigt mich. Ich habe noch zu tun.« Er neigte den Kopf auch vor Königin Jale, die den Blick eisern auf seine Hände gerichtet hielt. »Ich wünsche dir eine angenehme Nacht, Jale«, sagte er leise. Dann schenkte er Ardhes ein Lächeln. »Sahyed maél ajuha, Ardhes -ayen.« Bevor noch jemand etwas hätte sagen können, war der König zur Tür hinausgeglitten und verschwunden.
Königin Jales Gesicht war wie versteinert. »Verzeih seine Unhöflichkeit. Er …«
Helrodir lehnte sich in seinem Stuhl zurück und winkte ab. »Ich verstehe schon. Ein König kann sich selten so viel Zeit nehmen, wie er möchte. Die Politik ist ein eifersüchtiger Gefährte und verlangt nach dir in den unmöglichsten Augenblicken. Sie ist der Ehe wahrlich nicht unähnlich …«
Königin Jale sah ihn lange an und König Helrodir erwiderte ihren Blick. »Verlasst den Raum«, wies Jale plötzlich die Dienerschaft an. »Ihr könnt das Mahl später abräumen.« Ardhes beobachtete verwundert, wie die Diener hastig die Speisehalle verließen, doch außer ihr schien niemand den Befehl der Königin merkwürdig zu finden.
»Ardhes, du bist fertig?«, fragte ihre Mutter. Es klang eher nach einer Feststellung.
»Ja«, sagte Ardhes gehorsam und legte ihre Gabel weg.
»Es ist spät, du musst schlafen, mein Engel. Sag schön Auf Wiedersehen.« Ardhes stand auf, machte einen Knicks vor Königin und König und verabschiedete sich.
»Schlaf gut, kleine Ardhes«, sagte Helrodir mit einem freundlichen Lächeln
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