Das dreizehnte Kapitel (German Edition)
in Gefahr, von diesem Blondinen-Ansturm irritiert zu werden. Aber der Ansturm dieser vielen Frauen wiegte mich trotzdem in eine Art Hoffnung, dass Sie erscheinen könnten, ja sogar erscheinen würden. Das war mir auf einmal eingefallen. Warum war ich denn in die Stadt gegangen, warum gerade in dieses Café! Und jetzt der Ansturm der Frauen! Das alles hatte doch nur den Sinn, dass ich Sie in dieser Frauenflut entdeckte. All diese hübschen bis schönen Frauen waren Kopien, das Original fehlte. An dem nächsten Tischchen zwei Greisinnen, die, ohne noch zu reden, ihre riesigen Eisbecher leer löffelten. Bin ich hierhergekommen, um das zu sehen? Ja. Irgendwann musste ich dem inzwischen deutlich teilnehmenden Ober gestehen, dass meine Verabredung offenbar misslungen sei.
Auf dem Rückweg kaute ich Ihren Brief. Ich lebe davon, dass Sie mir etwas schreiben wollen und dann etwas ganz anderes schreiben. Dass Sie immer wieder Luitgard und Ludwig hereinholen in einen Brief, der von Ihnen zu mir kommt! Ich bilde mir ein, der Luitgard-Ludwig-Stoff sage etwas aus über Ihre Schreibstimmung. Und dann das, was Sie mir schreiben wollten! Mein billiges Hängebrückenbild! Verglichen mit Ihrer – unserer Voraussetzungslosigkeits-Beziehung! Die Theologin zertrümmert den Belletristen. Und der gibt sich selig geschlagen. Auf dem Rückweg habe ich Schritt für Schritt Ihre Briefe gefeiert. Ich war zu lange vernünftig. Der Gewohnheitskäfig, ausgestattet mit allem Drum und Dran. Durch Sie spüre ich, dass mir der Wahnsinn abhandengekommen ist. Sie sind der helle Wahnsinn. Und das alles per Briefpapier. Der Lebenswunsch. Hört. Auf nichts. Als auf sich. Selbst.
Ich kam also heim. Dass mir auf dem Weg zurück die vorbeiheulenden Polizeisirenen angenehm waren wie noch nie, verschweige ich nicht. Ich entdeckte in mir sogar Sätze der Art: Das ist mir näher als die 9. Symphonie. Zum Glück hatte Iris gerade die Wortlosigkeit eröffnet. Iris ist eine Göttin. Daran zweifle ich nicht mehr. Was Sie sind, kann ich nicht wissen. Ich kenne Sie ja gar nicht. Wen also vermisse ich so? Sie werden es mir sagen.
Ich muss Ihnen noch etwas mitteilen, was meine Fassungslosigkeit verständlich machen kann. Die Zeit ante Maja. Seit langem sah ich am Morgen immer ein, dass mein Leben vorbei war. Im Laufe des Tages kehrten Einbildungen zurück, die mir vorspiegelten, es sei noch etwas möglich. Gegen Abend war ich oft so verblendet, dass ich zu hoffen wagte, es stehe noch etwas bevor, was ich überhaupt noch nicht kenne. Sozusagen das Schönste, Sinnreiche komme erst noch. Nachts musste ich diese glühen wollende Hoffnung schützen gegen die Übermacht aller bis jetzt gemachten Erfahrungen. So weit der Zustand ante M. Jetzt, durch Sie, die Einbildung, es gebe noch nicht gemachte Erfahrungen. Und wenn, was mir durch Sie geschieht, das Gewöhnlichste ist – was ich nicht bestreiten kann –, dann spüre ich durch Sie einen Zwang, das Gewöhnlichste als das Einzigartige darzustellen.
Adieu.
Basil
18
16. Oktober 2010
Lieber mir gerade Erschienener,
bevor mir an Bord verboten wird, mein iPhone zu benützen, schnell noch die Nachricht: Die mir von Ihnen zugerufene E-Mail-Adresse habe ich aufgeschnappt und benütze sie gleich, um sie zu bewahren. Ein inniger Dank an die Technikwelt, dass sie uns mit dem E-Mail eine Adressierung geschenkt hat, die in jedem Gewimmel per Zuruf funktioniert!
Ab jetzt sind wir mit dem Datum konfrontiert. Ich habe es bisher nicht vermisst. Aber dass wir jetzt gezählt werden, ist mir auch recht.
Ich hätte mich, auch wenn ich nicht ohnehin dran wäre, sofort gemeldet. Was gerade auf dem Flughafen passierte, gehört in mein Fach: Wunder! Dass ich in der Eincheck-Schlange zum Gate 9 stehe und Sie gerade aus dem Gate 8 kommen, darüber dürfen wir uns zumindest wundern. Ich auf dem Weg zu meinem Vater in Starnberg, Sie, das habe ich noch gesehen, aus Frankfurt kommend. Dann unser starres Staunen. Dann, in dem Augenblick, als ich weitergeschubst wurde, rufen Sie mir Ihre E-Mail-Adresse zu. Höchste Geistesgegenwart! Ohne Ihre E-Mail-Adresse hätte die Begegnung nur in meinem Kopf stattgefunden haben können. Korbinian hatte mich bis ans Gate begleiten wollen. Ich habe es ihm so strikt ausgeredet wie noch nie. Das tut mir jetzt fast leid. Fast! Dass sich unsere Wege in wunderbarer Weise an einem Oktober-Samstagabend auf dem Tegeler Flughafen zwischen Duty-free- und Zeitschriftenladen gekreuzt haben, verdient, ein Ereignis
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