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Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Titel: Das dreizehnte Kapitel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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gegenüber, das hieß: Ich habe noch nicht alles verstanden. Irgendwann stand sie auf, stieg aus, mich verließ der Mut! Unter der Tür drehte sie sich noch einmal um, griff mit einer Hand in die Luft, die Hand klappte zusammen, es könnte als Winken gemeint gewesen sein. Jetzt war ich ganz sicher, dass sie mich von Ihnen gegrüßt hatte. Und kam heim, da war Ihre Botschaft. Sie hatten mir geantwortet.
    Der Frau, die mir das angekündigt hatte, war ich etwas schuldig. Bin ich etwas schuldig geblieben. Aber wie viel schulde ich Ihnen! Ich habe Ihnen meine Höflichkeit zu erklären versucht. Und bin dabei höflich geblieben. Jemand, der so urteilt wie Sie, hat mehr als Andeutungen verdient. Ich habe mich Ihnen gegenüber immer noch benommen, wie es sich gehört. Sonst hätten Sie nicht geantwortet. Hätten Sie auch geantwortet, wenn ich Ihnen geschrieben hätte, was ich ins Tagebuch schrieb?
    Da steht unterm 19. Juni 2010:
Ich habe keinen Wert mehr,
wenn Du ihn nicht gibst.
Mir liegt an mir nichts mehr,
wenn Dir an mir nichts liegt.
Ich will mich nicht mehr fühlen,
wenn Du mich nicht fühlst.
Von mir zu Dir reicht keine Sprache,
von Dir zu mir rast jeder Sturm.
Du bist das Meer,
das mich ans Land wirft,
ohne zu wissen, was es tut.
Es gibt nichts, was ich Dir zuliebe
nicht täte. Es gibt nichts,
was ich Dir zuliebe tun kann.
Jetzt japst meine Seele,
jetzt hüpft mein Herz
auf der glühenden Platte
der Sehnsucht. Ich bin nur noch
ein Schrei.
    Ihr ins Gestehen Verliebter

8
    28. Februar 2011
    Lieber Basil Schlupp,
    ich gebe mich geschlagen. Jenes Interview bleibt, was es ist, ein Verrat. Solange wir zwei mit einander zu tun haben, solange spüre ich den Schmerz, der mir zugefügt wurde durch diesen Verrat. Ein bisschen besser stünde ich da, wenn ich gestehen würde, dass mir das Unmögliche, das wir sind, fehlt. Ich käme mir ohne Unmögliches arm vor. Jetzt haben Sie mich da, wo Sie mich hinhaben wollten. Dann kann ich auch gleich sagen: Du solltest Dich nicht zu sehr darüber freuen, dass Dir das gelungen ist. Es grüßt die wieder Hereinlegbare.
    Sie bleiben ein Verräter. Ich muss aufpassen, dass das Wort, jetzt auf Sie angewendet, nichts von der Fast-Zärtlichkeit mitkriegt, die es hatte, als wir noch in unseren Ehe-Gehegen Verrat spielten.
    Ach, Korbinian macht es mir zur Zeit leicht, ihn ein bisschen zu betrügen. Dieses Wort zum ersten und letzten Mal, mein Herr. Er fiebert einem Film entgegen, der über ihn gedreht wird, über sein Lebenswerk: Der Weg zum Heil . Medikamente nach Maß. Gedreht wird auf mehreren Kontinenten, und Korbinian ist immer dabei! Vielleicht sollte es mich freuen, dass ein erwachsener, von keinem Erfolg verschonter Mann sich dieser Filmdreherei hingibt, als handle es sich um eine Eingabe an das Jüngste Gericht. Und inmitten dieser internationalen Unruhe sitze ich und schreibe Ihnen, der mir einen Verrat angetan hat, der unverstanden bleiben wird. Wie konnten Sie, mitten in unserem Briefgeschehen, schreiben, dass alles Weibliche bei Ihnen unter Höflichkeit rangiert.
    Dass ich Dir schreibe wie eh und je, das muss – wie ungern gestehe ich das – das Weibliche sein in mir, das da den Ausschlag gibt.
    In aller gebotenen Zurückhaltung grüßt,
gerade noch herzlich,
die Frau Professor

9
    1. März 2011
    Liebe Frau Professor,
    mir sind die meisten Schläge bekannt. Neugierig wie eh und je horch ich aufs Peitschensausen. Immer will ich den Schlägen, sie charakterisierend, voraus sein; sie sollen, wenn sie auftreffen, mir bekannt sein. Irgendwie schwächt sie’s, wenn ich rufe: Nichts Neues! Jetzt will ich, Ihre Schläge spielend, Sie verletzen. Spüren Sie’s?
    Ihr grundlos Übermütiger

10
    17. März 2011
    Lieber Basil Schlupp,
    unsere Rechtfertigung war die Aussichtslosigkeit. Weil es aussichtslos war, durfte es sein. Wir haben beide mit dem ALS OB gespielt. Wir haben geflirtet mit der Unmöglichkeit.
    Andere geben sich anders. Wenn die Menschen so toll wären, wie sie sich geben, müsste es längst anders zugehen in dieser Welt. Das kann daran liegen, dass die musterhaft Auftretenden die Weltherrschaft noch nicht übernommen haben. Gott sei Dank!
    Ich gebe zu, dass mir die Kraft zum Hoffen ausgegangen ist. Ich werde nicht einmal mit Dir fertig! Von mir ist nichts mehr zu erhoffen zur Verbesserung der Welt. Ich werde meinen Beruf aufgeben. Was ich mit mir durch Dich erlebte, hat mir gezeigt, dass ich nicht hinauskomme über mich. Nur weil ich dem Schein nach kommandieren kann, wie

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