Das dreizehnte Kapitel (German Edition)
nah oder fern wir zwei einander sind, hältst Du mich für stark. Nur weil Du genau so schwach bist wie ich, hältst Du mich für stark. Ich verzichte auf diesen mir von Dir angedienten Schein. Und ergebe mich Dir so schwach, wie ich gerade bin.
Deine Kapitulierende
11
18. März 2011
Liebe Maja,
in Schwächebekenntnissen bin ich unschlagbar. Und an die Paulus-Stelle kannst Du Dich selber erinnern. Ich komme mir verwüstet vor. Das kannst Du von Dir nicht sagen! Ich habe mir nicht vorzuwerfen, dass ich zur Verbesserung der Welt nichts beitragen kann, aber dass ich mir Deine Augenbrauen nicht merken kann, das habe ich mir vorzuwerfen!
Die S-Bahn-Frau hat sich mit ihren höhnischen Brauen-Schwüngen unvergesslich gemacht.
Deine Brauen sind viel feinere Linien und überhaupt nicht übersetzbar in so simple Stimmungen. Nächtelang habe ich Deinen Brauen nachgedacht. Und nicht um ein Foto gebeten. Und was von Deinen Ohren ausging! Gab es etwas Wichtigeres, als Dich zu fragen, was für Steine da in Silber gefasst sind?! Und von der Fassung hing weiteres Silber, dünner werdend, herab, so als sprühtest Du Silber. Ach, lass uns zurückfinden zu unserer Verantwortungslosigkeit. Wenn wir zu zweit einsam genug sind, sind wir unerreichbar.
Ich möchte bei Dir sein, wenn es kalt ist.
Ich möchte bei Dir sein, wenn es heiß ist.
Ich möchte bei Dir sein.
Dein von der Aussichtslosigkeit Geblendeter
12
26. März 2011
Liebe Maja,
ich stürze nicht ab! Mein Vertrauen fesselt Dich. Du kannst wieder schweigen, solange Du Lust hast, ich stürze nicht ab! Und wenn ich stürze, bist Du mein Netz, in das ich falle.
Dein vor Gemeinsamkeit Vibrierender
13
12. April 2011
Lieber Basil,
zwei Tage vor der Aufführung des Korbinian-Films die Nachricht: Der Tumor in der Bauchhöhle ist bösartig. Drei Tage später die Operation. Diese drei Tage, Basil.
Wir hatten zwei Zimmer in der Klinik. Ich konnte kein einziges Mal hinübergehen zu Korbinian, wenn er mich nicht rief. Sobald er mich rief, war ich drüben. Und ganz und gar. Und für immer. Und über dieses Leben hinaus. Ich kann ohne ihn nicht leben. Aber er muss mich rufen. Solange er mich nicht ruft, meine Angst, dass er mich gleich rufen wird. Er soll sterben, also muss ich ihm sagen, dass ich ohne ihn nicht leben kann. Wenn nur er stirbt, ist er allein. Nur wenn er mich mitnimmt ins Äußerste, gibt es mich noch.
Ich bleibe im Zimmer. Hoffend, dass er mich hole. Hoffend, dass er mich nicht hole. Ach, Freund. Schmählich, gesund zu sein.
Die Operation glückt. Der Chirurg ist einer von drei Chirurgen, die das können, ohne dass dann ein künstlicher Ausgang nötig ist. Jetzt noch dreißig Tage, dann die Chemo.
Bitte, versuche, mir nicht zu antworten, bevor Du mehr weißt. Noch länger zu schweigen habe ich nicht ausgehalten.
Deine schwache Freundin
14
Ich musste Iris sagen, was jetzt ins Haus kam. Eine Freundin, Iris, frag nicht, was für eine Freundin, ihrem Mann geht es so und so.
Iris, erinnere Dich, wie es bei uns war. Was bei uns passierte, als meine Mutter starb. Das habe ich Dir nie wirklich mitteilen können, Iris. Du hast damals meinem Schmerz zugeschaut. Du hast nicht so getan, als träfe Dich, was mir passierte, so, wie es mich traf. Und dafür, dass Du zuschautest und wie Du zuschautest, liebte ich Dich wie nie zuvor.
Ich würde immer so tun, als treffe mich, was Dich trifft, genau so, wie es Dich trifft. Dein Dabeistehen, Iris, das ist, Entschuldigung, das ist Größe. Die hast nur Du.
15
25. April 2011
Lieber Freund,
bis zur Chemo hat Korbinian Kraft sammeln müssen. Er will eine Radtour. Mit mir. Sofort wird trainiert. Nach zwei Wochen schlage ich vor: Clausthal-Zellerfeld. Roderich mit dem Auto immer hinter uns. In vier Tagen kamen, durch Wasungen, Schwallungen, Breitungen und so weiter, doch neun Radstunden zu Stande. Korbinian war stolz. Auf mich. Hat er gesagt. Das sei der Anfang. Jetzt werde trainiert. Für die Große Tour.
Für den Tübke-Altar in Clausthal wären wir auf jeden Fall zu keiner Zeit unseres Lebens so empfänglich gewesen wie jetzt. Wir saßen in der Kirche und schauten den Gekreuzigten an. Aber wie. Und wie schaute der uns an. Das muss Dir gesagt werden. Von mir. Es ist so viel Unsägliches passiert. Ich will nicht im Medizin-Jargon untergehen. Ich will Dich holen, Du sollst mit uns auf der Bank sitzen. Ich brauche Dich, dass ich sagen kann, was wir gesehen haben. Ich sah immer wieder zu Korbinian, sah, dass er immer noch
Weitere Kostenlose Bücher