Das dreizehnte Opfer: Thriller (German Edition)
Schlafzimmerfenster. Alles dunkel. Wahrscheinlich hatte er die Vorhänge zugezogen. Die Hintertür war ebenso verschlossen wie die vordere, aber …
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und tastete mit den Fingern die Oberseite des Türsturzes ab. Bingo: ein kleiner Keramik-Papageitaucher, die schwarz-weiße Lackierung brüchig und abgeblättert. Drinnen steckte ein Sicherheitsschlüssel. Ich zog ihn heraus und schloss die Küchentür auf.
»Henry? Henry, ich bin’s, Ash, Ash Henderson. Bist du da? Bist du wach? Bist du nüchtern?« Das tote Haus antwortete mit tiefstem Schweigen. »Henry? Lebst du noch, oder hast du dich inzwischen totgesoffen, du alte Weichbirne …?«
Keine Antwort.
Die Küche lag unter einer dicken Staubschicht. Auf einer kleinen Frühstückstheke stapelten sich alte Zeitungen und ungeöffnete Post. Vier Hocker waren unter die Arbeitsfläche geschoben.
»Henry?«
Weiter in den Flur. Mein Atem bildete dünne graue Nebelschwaden in der Luft. Hier drin war es kälter als draußen.
»Henry?«
Die Treppe führte hinauf zu einem kleinen Flur, doch ich sah zuerst im unteren Schlafzimmer nach. Ich klopfte, wartete und öffnete dann vorsichtig die Tür. Dunkelheit. Eine abgestandene Knoblauch- und Alkoholfahne schlug mir entgegen, vermischt mit einem üblen Fäulnisgestank. »Henry?«
Ich tastete nach dem Schalter und knipste das Licht an.
Henry lag auf dem Bett, flach auf dem Rücken, bekleidet mit einem schwarzen Anzug, weißem Hemd und schwarzer Krawatte. Ein wirrer grauer Haarkranz umringte einen kahlen, leberfleckigen Schädel wie eine Tonsur. Seine Gesichtshaut war erschlafft, wie eine Sockenpuppe ohne Hand drin; Augen, Mund und Nase wirkten zu groß für diesen kleinen Kopf. Neben einer dürren Hand lag eine Flasche Bell ’ s Whisky, bis auf ein Drittel geleert.
Auf dem Nachttisch stand ein kleines Tablettenröhrchen.
Der alte Trottel … Jetzt hatte er es tatsächlich getan.
17
Ich starrte einen Moment lang an die Decke und ließ mich dann auf den Hocker vor der Kommode sinken.
Dann würden wir wohl auf Henrys Hilfe bei der Jagd nach dem Gratulator verzichten müssen – wie es aussah, war Dr. McDonald auf sich gestellt …
Das war irgendwie nicht fair. Der arme alte Sack hatte etwas Besseres verdient als das hier – in einem kalten, einsamen Haus vor sich hin zu vegetieren, bis der Alkohol oder ein Aneurysma oder die Unterkühlung seinem Elend ein Ende machten.
Um ehrlich zu sein – das Ende war wahrscheinlich fast eine Erlösung gewesen.
»Mensch, Henry, hättest du nicht warten können, bis –«
Ein trockenes Quietschen kam von der Leiche, gefolgt vom Geruch des Todes. Oder fauler Eier. Oder eines halb verwesten Fischotters … Er war gar nicht tot, er furzte nur.
»Uaah, nicht du auch noch!« Immer diese Psychologen …
Ich hielt mir die Hand vor den Mund, stand auf und zog die Vorhänge zur Seite. Dann riss ich das Fenster weit auf, um die kalte Luft rein- und die toxischen Emissionen aus Henrys Arsch rauszulassen.
»Henry!«
»Mmmmmmph … Lmmm schlffn …« Blassrosa Zahnfleisch blitzte zwischen den schlaffen Lippen auf.
»Henry, du widerlicher Luftverpester, steh auf! Du hast Besuch.«
Er machte ein Auge halb auf und blinzelte an die Decke. »Leck mich doch …« Seine Stimme hörte sich an wie eine Handvoll Walnüsse, die ganz langsam zermahlen wurden. Der Aberdeener Akzent verzerrte die Vokale bis zur Unkenntlichkeit. »Wie spät is’n?«
»Kurz vor acht.«
»Dienstag?«
»Mittwoch.«
»Knapp daneben.« Er machte Anstalten sich aufzusetzen und ließ sich gleich wieder auf die Bettdecke zurückfallen. »Bin ich tot?«
»Du riechst jedenfalls so.«
»Oh … Wenn das so ist, könntest du mir mal eben helfen?«
Ich zog ihn aus dem Bett und lehnte ihn an den Kleiderschrank, wobei ich darauf achtete, nicht durch die Nase zu atmen. »Du liebe Zeit, wann hast du denn das letzte Mal gebadet?«
»Du siehst aus wie ein Punchingball.« Ein langer, rasselnder Hustenanfall. »Wo hab ich denn meine Zähne gelassen?«
Das Tablettenröhrchen klapperte, als ich es schüttelte. Die aufgeklebte Verschreibung lautete: » FLUVOXAMIN 50 MG., 2 TABLETTEN TÄGL. MIT DEN MAHLZEITEN EINNEHMEN. ALKOHOL MEIDEN. «
»Du solltest nicht trinken, wenn du die nimmst.«
»Ah, da sind sie ja.« Henry nahm ein Trinkglas vom Fensterbrett. Ein Gebiss schwamm in einer Flüssigkeit, die wie abgestandener Urin aussah. Er fischte seine Zähne heraus, steckte sie sich in den Mund, trank
Weitere Kostenlose Bücher