Das dritte Ohr
Modell“, pflichtete ich ihr bei, „und nicht gerade gut versteckt.“
Ein Grinsen huschte über ihr Gesicht. „Was wäre Joseph schockiert, wenn er erführe, daß sich die ganze Zeit ein Mikrofon in seiner Wand befand.“ Ihre Worte gingen teilweise in Gelächter unter.
„Aber wer könnte denn Wert darauf legen, Heinemann abzuhören?“
„Niemand, kein Mensch auf der ganzen Welt“, sagte sie. „Er hat keine Geheimnisse und glaubt, daß die Deutschen keinen Geheimdienst haben. Soviel ich weiß, hielten auch die Russen nicht Hamburg besetzt, und die Chinesen sind immer noch in China. Ich bin genauso verblüfft wie Sie.“
Ihr halbvolles Glas in der Hand, berührte sie das Mikrofon und zog es aus dem Loch.
„Es muß schon eine Ewigkeit in dieser Wand gewesen sein“, erklärte sie.
„Es handelt sich bestimmt um keine neue Installation, aber hat nicht Dr. Heinemann dieses Haus renoviert? Außerdem hat er das Bild darüber gehängt.“
„Vielleicht wollte er die Telefongespräche abhören, die seine Frau mit ihren Freunden führte. Das ergäbe doch einen Sinn, nicht wahr? Er ist von Natur aus sehr eifersüchtig – vielleicht ist sie ihm deshalb davongelaufen.“
Sie hatte Heinemann vorher anders geschildert – als einen Mann, der so vertieft in seine Arbeit war, daß er kaum merkte, daß seine Frau ihn verlassen hatte. Obwohl diese Bemerkung offensichtlich scherzhaft gemeint war, fragte ich mich nun betroffen, wie Heinemanns Persönlichkeit wohl wirklich war.
„Der Draht führt in den Keller“, sagte ich.
„Sind Sie deshalb unter dem Tisch herumgekrochen?“ Ihr Gesicht war zu blaß, um ihre Beunruhigung zu verbergen. „Wie haben Sie das herausgefunden? Ist es üblich, hinter Bilder zu gucken, wenn man in ein neues Haus zieht?“
„Ich entdeckte den Draht an der Wand“, sagte ich und beobachtete fasziniert ihre Wandlungsfähigkeit, als sie erst auswich und dann schnell das hilflose kleine Mädchen mimte.
„Zum erstenmal in meinem Leben stoße ich auf so eine Anlage. Ich hätte nicht gewußt, was so ein Draht bedeutete, aber ich habe einen Haufen Spionageromane gelesen.“
„Ich habe zu oft an Geheimaufträgen gearbeitet“, sagte ich, riß den Draht aus dem Mikrofon und hängte das Bild wieder an seinen Platz. „Wenn solche Abhöranlagen vorhanden sind, kann ich sie fast riechen.“
„Ich werde Heinemann schreiben, um festzustellen, ob er etwas davon wußte“, sagte sie, warf ihren Kopf zurück und lächelte entwaffnend.
„Tun Sie das“, sagte ich.
„Ich weiß nicht, warum wir uns solche Sorgen um dieses alte Ding machen sollen. Es könnte ja sein, daß es nicht richtig funktioniert.“ Sie hatte eine Art, einen Satz herunterzurasseln, die Ungeduld enthielt. „Aber wie steht’s mit dem Abendessen?“
Ehe ich etwas einwenden konnte, fügte sie hastig hinzu: „Ich habe mein bestes Kleid für Sie angezogen.“
„Dort, wo ich herkomme, ist es elf Uhr morgens“, sagte ich. „Dann wollen wir einen frühen amerikanischen Lunch oder ein spätes europäisches Abendessen zu uns nehmen“, rief sie. „Ich war so aufgeregt, als ich hörte, Sie würden eintreffen, daß ich sogar vergaß zu frühstücken.“
5
Wir ließen den Räucheraal in seiner Verpackung im Kühlschrank und gingen durch die Dunkelheit, an kleinen Gärten vorbei und den Fluß entlang zu dem Licht, das aus den Fenstern eines Restaurants drang. Der Vorgarten war feucht vom Nachttau; ein Schild über unserem Weg verkündete „Zum Bäcker“. Das Äußere des Hauses wirkte nicht gerade einladend; die Tür war schäbig und konnte einen neuen Anstrich gebrauchen. Mich beim Ärmel packend, ging Astrid einen halben Schritt vor mir wie ein Blindenhund. In dem Restaurant befand ich mich in einem getäfelten Raum ohne Gäste, bis auf ein älteres Paar, das sich einem enormen Fisch auf einem Riesenteller widmete. Der Wirt des „Bäckers“, ein dünner bebrillter Mann mit weißer Schürze, begrüßte Astrid überschwenglich und musterte mich schnell, um meine Beziehung zu ihr abzuschätzen. Er erkundigte sich nach Professor Heinemann, der offenbar hier Stammgast war. Astrid stellte mich so vor, als wäre ich eine wichtige Persönlichkeit und bat ihn, seine Kochkünste unter Beweis zu stellen, wie er es bisher für Heinemann getan haben mußte. Er erzählte weitschweifig die Geschichte des „Bäckers“, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreichte, und wie das Lokal dem Brandbombenangriff der Briten entronnen war,
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