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Das dritte Ohr

Das dritte Ohr

Titel: Das dritte Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Curt Siodmak
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obwohl die angrenzenden Häuser in Flammen aufgegangen waren. Er führte uns zu einem Tisch, verschwand und erschien wieder mit drei kleinen gekühlten Gläsern, in die er dänischen Aquavit goß. Wir tranken uns zu. Astrid bestellte, ohne die Karte zu Rate zu ziehen oder mich nach meinen Wünschen zu fragen.
    „Ich hole Sie morgen früh um acht Uhr ab, um Sie zur Klinik zu bringen“, sagte sie dann, den Kreis schließend und mich zu einem ihrer Besitztümer machend. „Das ist ein Uhr nachts kalifornischer Zeit“, fügte sie hinzu und fragte dann teilnahmsvoll: „Macht Ihnen der Zeitunterschied zu schaffen?“
    „Der Trick besteht darin, nachmittags in einem fremden Land anzukommen“, sagte ich. „Dann spielt der Zeitunterschied keine große Rolle. Wenn man morgens landet, während es zu Hause Nacht ist, braucht man einen Tag, um sich anzupassen.“
    Ich fragte mich, wann sie wohl über ihre Aufgaben in der Klinik sprechen würde. Bisher hatte sie mir nur eröffnet, daß sie Heinemanns Privatkorrespondenz tippte.
    „Ich bin Laboratoriumsassistentin“, sagte sie fast so, als hätte ich danach gefragt. „Ich sammle auch Daten für meine Doktorarbeit in Psychologie. Heinemann hatte im Labor eine freie Stelle und bildete mich aus, aber es ist nicht der Beruf, den ich mir wünsche. Ich interessiere mich sehr für menschliche Empfindungen und ihren Ursprung.“
    „Warum haben Sie dieses Thema gewählt?“ fragte ich.
    Der ausdruckslose Blick sagte, daß sie sich wieder in die Vergangenheit zu versetzen schien.
    „Ich wollte feststellen, wie mein Vater funktioniert“, sagte sie langsam und geistesabwesend. „Meine Mutter starb zu früh, als daß ich mich an sie erinnern könnte, also war alles was ich kannte, als ich aufwuchs, mein Vater. Ich durchschaute ihn nicht. Ich wurde nicht schlau aus ihm. Er arbeitet für irgendeine Public Relations-Abteilung der schwedischen Regierung und reist viel herum. In einem Jahr scheffelt er Geld und im nächsten ist er pleite. Er ist immer launisch und unnahbar und benimmt sich irrational – er liebt mich und liebt mich nicht. Ich hoffte, daß ich durch das Psychologiestudium ihn und unsere gegenseitige Beziehung verstehen lernen würde. Eines habe ich schon gelernt: ich habe eine starke Vaterbindung, die wesentlich weiter geht als eine normale Tochter-Vater-Beziehung. Ich weiß nur, daß er mir heute noch genauso rätselhaft ist wie in meiner Kindheit.“
    Sie sah mich nachdenklich an, als frage sie sich, warum wir in diesem Restaurant saßen.
    Ich dachte, daß ich Vater sie verletzt haben mußte. Sie schien immer noch unter einer traumatischen Auswirkung zu leiden.
    Ich hatte vielleicht das Alter ihres Vaters. Später erfuhr ich, daß das tatsächlich zutraf.
    „Mich interessieren nur Männer, die doppelt so alt sind wie ich“, sagte sie leichthin, als amüsiere sie der Gedanke. „Als ich Joseph in Stockholm kennenlernte, bat ich ihn, mir eine Stelle an der Klinik zu beschaffen. Seine Forschungen über den Mechanismus veränderter Verhaltensweisen in Menschen faszinierten mich, aber jetzt habe ich vor, einen anderen Weg einzuschlagen und Biochemie zu studieren. Nachdem ich Sie nun kennengelernt habe, Dr. Bolt, hoffe ich in näheren Kontakt zu Ihnen zu kommen, wenn Sie nicht mit einem verrückten Huhn wie mir die Geduld verlieren. Was für ein Riesenschritt auf der Leiter nach oben – erst Heinemann und jetzt der berühmte Dr. David Bolt!“
    Sie schenkte mir ein offenes Lächeln, als böte sie sich rückhaltlos an.
    „Ich bin kein Lehrer“, sagte ich und versuchte, mich der Intimität zu entwinden, mit der sie mich umgarnte und die mir nicht behagte. Jedenfalls jetzt nicht.
    „Sie können gar nicht umhin, einer zu sein“, sagte sie und lachte heiter. Das ältere Paar blickte bei ihrem lauten Gelächter stirnrunzelnd auf.
    In diesem Augenblick kam der Karateexperte aus dem Flugzeug in Begleitung dreier Stewardessen herein.
    Sofort kehrten meine Befürchtungen zurück. Das war kein Zufall! Aber woher konnte er wissen, daß ich im „Bäcker“ war? Sein Erscheinen erinnerte mich an ein tödliches Schachspiel, bei dem ein Spieler die Menschen wie Figuren herumschob. Die Gruppe nahm Platz und bestellte lauthals einige Drinks. Dann erblickte mich der Mann aus dem Flugzeug und schlenderte mit einem schlechtgespielten Ausdruck der Ungläubigkeit zu unserem Tisch herüber.
    „Donnerwetter“, dröhnte er, „sind Sie nicht der Bursche aus dem Flugzeug, der von der

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