Das dritte Ohr
ihn.
„Natürlich interessiert mich die Zukunft der Wissenschaft“, sagte ich. Laqueurs Geist enthielt nur Ungeduld. Er sah mich in einem Flugzeug westwärts fliegen, anscheinend nach Kalifornien.
„Aber verwickeln Sie mich bitte nicht in politische Pläne. Ich interessiere mich nicht für die Zukunft von Europa oder Amerika.“
„Nicht einmal für Ihre eigene?“ fragte Bauer geduldig. Ich kannte seine Frage, ehe er sie ausgesprochen hatte.
„Ich bin Psychobiochemiker und kein Politiker.“
„Das wissen wir“, erwiderte Bauer. Er bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen, ermüdet von der Gleichförmigkeit der Fragen und Antworten. „Aber Sie könnten uns überaus behilflich sein. Sehen Sie, nachdem ich mein Leben lang auf dem Gebiet der Psychiatrie tätig war, bin ich zu dem Schluß gekommen, daß die Wissenschaft, das heißt die gesamte Menschheit, einen Kollisionskurs auf Ereignisse eingeschlagen hat, der womöglich zur Vernichtung der nächsten Generation, ja, der Erde, führt. – Es liegt in Ihren Händen, das unvermeidliche Ende der menschlichen Rasse abzuwenden.“
Er glaubte fest an das, was er sagte. Keine Hintergedanken schweiften in eine andere Richtung ab. Er war der Mann, der anscheinend sein Unterbewußtsein in der Gewalt hatte.
„Mr. Burns vertritt einen britischen Chemiekonzern und Monsieur Laqueur die Ustnes de Fer France, die, wie Ihnen sicher bekannt ist, eine der größten Stahlgesellschaften in Europa – und eng liiert mit Krupp in Essen und Bofors in Schweden – ist. Es gibt noch mehr von uns. Wir haben in den letzten zehn Jahren zusammengearbeitet“, sagte Bauer.
Während Burns mich beobachtete, dachte er wieder an diese Schönheit – er war offenbar von ihr besessen. Er wollte unbedingt ihre Gedanken lesen.
„Woran?“ fragte ich Bauer und wandte mein drittes Ohr Laqueur zu. Er dachte an ein Gesicht, das ich wiederzusehen erwartet hatte – an Kubatschew! Es war Kubatschews Asiatengesicht.
Es war also eine Verschwörung, aber ich wußte nicht, was sie beabsichtigten.
„An multinationalen Korporationen. Das Entstehen privater multinationaler Korporationen ist die mächtigste Kraft bei der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umstrukturierung in der heutigen Welt“, sagte Bauer, völlig überzeugt von seiner Behauptung.
Er hatte sein Denken auf ein wissenschaftliches Problem ausgerichtet und die Entwicklung dieser Idee war ihm zur Religion geworden. Von den drei Männern war er der einzig Gläubige.
„Lassen Sie es mich so ausdrücken: Gemeinsam sind sie eine private Regierung, reicher an Aktiva und Aktionären und Angestellten als irgendein einzelner Nationalstaat einschließlich der Vereinigten Staaten.“ Bauer richtete seine himmelblauen Augen auf mich; ich hatte eine so reine Farbe bisher nur in Kinderaugen gesehen.
„Sehen Sie, Wissenschaft, Forschung, Erkundung der Naturgeheimnisse geraten schnell in eine Sackgasse. Welchen Sinn hat die Wissenschaft, wenn es keine Welt mehr gibt, auf der sie angewendet werden kann! Ich bin vor vielen Jahren zu diesem Schluß gekommen, als ich die unvermeidliche, endlose Wiederholung sämtlicher Fehler in der menschlichen Geschichte erkannte. Ich erinnere nur an Ihren berühmten Patrick Henry, der sein Bedauern darüber aussprach, nur ein Leben zu besitzen, das er seinem Land geben könnte.
Mein Land, Dr. Bolt, ist die Erde. Solange wir in Nationen aufgespaltet sind, jede mit ihrem eigenen Einflußbereich, ermorden wir die Erde. Jede Nation kämpft darum, ihren Einflußbereich auszudehnen und deshalb sind ständige Konflikte unumgänglich.
Wir sind die Opfer, wir alle. Was ist also die Lösung, wenn wir nicht den Weg der Dinosaurier gehen wollen? Wir haben ja schon alles ausprobiert: Waffen zur gegenseitigen Unterwerfung; Verträge, die gebrochen werden, wenn es irgendeinem Land in den Kram paßt, daß die Moral der nationalen Zweckdienlichkeit unterordnet. Amoralität regiert seit Jahrtausenden die Welt, doch jetzt ist das apokalyptische Zeitalter angebrochen.
Wir beherrschen nicht mehr unsere Waffen, sondern sie beherrschen uns . Ich bin ein müder, alter Mann. Ich möchte die Kräfte, die mir noch verbleiben, für etwas einsetzen, das unerreichbar zu sein scheint und das die Bürokratien aller Länder bekämpfen – nämlich eine Welt, in der die Grenzen genauso bedeutungslos sind wie die zwischen den fünfzig Staaten der USA. Es gibt eine Lösung – nämlich die Erweiterung und Stärkung der multinationalen
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