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Das dritte Ohr

Das dritte Ohr

Titel: Das dritte Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Curt Siodmak
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gar nicht, wie viele von diesen Leuten heute wieder hohe Stellungen bekleiden“, sagte er verdrossen. Ich spürte sofort, daß auch Gobel einst der SS angehört hatte und sich über seine Unfähigkeit ärgerte, sich selbst einen hohen Regierungsposten zu ergattern. „Jetzt kommen wir zur ‚Schönen Aussicht’.“
    Er redete weiter, damit ich still blieb, während die Impressionen in seinem Geist wie Fotos vor meinen Augen vorbeizogen.
    Eine Zahlenreihe – ein ihm geschuldeter Betrag – dann wieder Bauers Gesicht – das Auto vor uns, das plötzlich seine Geschwindigkeit herabsetzte und ihn zwang, sich auf die Straße zu konzentrieren – eine verschlossene Schreibtischschublade – mit einem Revolver – ohne Revolver – wieder mit dem Revolver, als versuche er sich zu erinnern, wo er ihn versteckt hatte.
    Dann erschien mein Gesicht, wie ich ihm auf dem Fernsehturm zuhörte. All diese unzusammenhängenden Gedankenfetzen liefen in seinem Bewußtsein ab.
    Es war dunkel, und die Lichter der Schiffe und Fähren auf der See flimmerten wie Glühwürmchen. Wir befanden uns jetzt in dem vornehmen Stadtviertel mit seinen um die Jahrhundertwende erbauten massiven Häusern und alten Gärten. Wir fuhren durch ein schmiedeeisernes Tor und hielten vor einem Patrizierhaus, das in vier Wohneinheiten aufgeteilt worden war.
    PROFESSOR HELMUTH F. BAUER stand auf einem auf Hochglanz polierten Schild. Gobel wartete, als wolle er noch irgendwelche Fragen meinerseits beantworten, aber da ich keine Anstalten machte ihm welche zu stellen, drückte er auf die Klingel.
    Wie in einem Theaterstück des vorigen Jahrhunderts öffnete ein Dienstmädchen mit weißer Schürze und Spitzenhaube die Tür. Ihr Sinn war aufs essen gerichtet, sie dachte an eine Schüssel auf dem Küchentisch.
    Das Vestibül war nur schwach beleuchtet. Wir hängten unsere Hüte an einen altmodischen Kleiderständer, der einen großen Spiegel einrahmte. Zu dieser wilhelminischen Atmosphäre paßten freilich nicht die Geräusche, die ich hörte. Dudelsackmusik erklang aus einem der Zimmer.
    Das immer noch aufs essen fixierte Dienstmädchen öffnete eine weitere Tür für uns. Wir betraten ein geräumiges, von einem Muranoglas-Lüster beleuchtetes Zimmer. Breite Fenster boten Aussicht auf die Alster und das jenseitige Ufer mit den Lichtern der Stadt. Über dem lichterglänzenden Hamburg hingen regenschwere Wolken.
    Vier Leute befanden sich in diesem Raum. Ihre Gedanken stürzten in dissonanten Wellen auf mich ein. Eine statuenhafte Frau mit starrem, ledrigem Gesicht saß da und hatte die Hände im Schoß gefaltet. Außerdem waren zwei Männer in Straßenanzügen und Bauer zugegen.
    Er ging auf und ab, den Dudelsack blasend und die Luft mit dessen mißtönigem Gebrumm und der einfachen Melodie erfüllend. Er schritt, die Pfeifen über dem Arm, gemessen wie ein schottischer Gardist, hin und her. Völlig vertieft in seine Vorführung – der storchenhafte Gang, die Drehung um hundertachtzig Grad, wenn er zum Ende des Zimmers gelangte – hatte er seine Umgebung vergessen. Sein Geist war völlig auf das Spiel gerichtet und suchte die einzelnen Töne in Sekundenbruchteilen aus, ehe sie aus den Pfeifen erklangen.
    Die Frau zeigte auf ein Sofa, wie eine Platzanweiserin bei einem Konzert. Die Musik war ihr vertraut, sie litt stoisch. Sie hätte das Zimmer gern verlassen; arthritische Schmerzen quälten ihren Körper und sie hatte im Geist das Arzneischränkchen im Badezimmer mit den weißen Codeinpillen vor Augen.
    Als Gobel sich auf Bauer konzentrierte, hatte er nicht an den Dudelsack gedacht, so daß er eine Überraschung für mich darstellte. Bauer hörte auf zu spielen, ließ die verbliebene Luft mit einem traurigen, ersterbenden Seufzer aus dem Blasebalg entweichen. Zufrieden zog er die Pfeifen aus dem Sack und legte das Instrument in einen Kasten. Er besaß die Fähigkeit, sich nur auf den Augenblick zu konzentrieren – ohne Abschweifungen des Geistes, ohne aufblitzende, unterbewußte Gedanken. Astrids Verstand sandte Ideen aus wie aufflammende Streichhölzer, Gobels Geist wanderte, wich von der Hauptlinie seines Interesses ab. Keiner der Leute, deren Gedanken ich auf der Straße gelesen hatte, besaß Bauers monomane Fähigkeit, sich auf ein einziges Thema zu konzentrieren.
    Nachdem er das Instrument in den Kasten gelegt und dessen Deckel zugeklappt hatte, schaltete sein Verstand um und er sah mich.
    „Dr. Bolt!“ Sein gesundes, rotwangiges Gesicht strahlte noch im

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