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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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sich öffnete und die Hitzewelle sie umfing, und dann schob sie ihre Laibe hinein. Die Frauen um sie herum trugen runde Wollhauben und sprachen leise. Eine lächelte ihr zu.
    – Wie geht es Petit Jean und Jacob und Marie? fragte sie.
    Isabelle lächelte zurück.
    – Sie wollen nach draußen. Sie haben es nicht so gern, wenn sie drinbleiben müssen. Zu Hause war es nicht so kalt. Jetzt streiten sie mehr.
    – Das hier ist jetzt euer Zuhause, verbesserte die Frau sanft. Gott wird hier mit euch sein. Er hat euch dieses Jahr einen milden Winter geschenkt.
    – Natürlich, stimmte Isabelle zu.
    – Gott sei mit Euch, Madame, sagte die Frau, als sie mit ihren Brotlaiben beladen wegging.
    – Und mit Euch.
    Hier nennen sie mich Madame, dachte sie. Niemand sieht mein rotes Haar. Niemand weiß davon. Es gibt hier ein Dorf mit dreihundert Menschen, und niemand nennt mich La Rousse. Sie wissen nichts über die Tourniers, außer daß wir der Wahrheit nachfolgen. Wenn ich weggehe, reden sie nicht hinter meinem Rücken über mich.
    Dafür war sie dankbar. Dafür konnte sie mit den rauhen, steilen Bergen leben, der seltsamen Feldfrucht, den harten Wintern. Vielleicht konnte sie sogar ohne Kamin leben.
    Isabelle traf Pascale oft am Gemeinschaftsofen und in der Kirche. Zuerst sagte Pascale sehr wenig, aber langsam wurde sie gesprächiger, bis sie irgendwann Isabelle ihr früheres Leben in allen Einzelheiten schilderte.
    – In Lyon habe ich in der Küche gearbeitet, wenn ich konnte, sagte sie, als sie an einem Sonntag in der Menge vor der Kirche standen. Aber als Maman an der Seuche starb, mußte ich anfangen, zu bedienen. Ich war nicht gern unter so vielen fremden Männern, die mich überall anfaßten. Sie schüttelte sich. Und dann soviel Wein auszuschenken, wo wir doch keinen trinken sollen, es schien nicht richtig. Ich bin lieber versteckt geblieben. Wenn es ging. Sie war einen Augenblick lang still.
    – Aber Papa, er macht das leidenschaftlich gern, fuhr sie fort. Weißt du, er hofft, das Cheval-Blanc zu übernehmen, wenn dieEigentümer weggehen. Er stellt sich gut mit ihnen, falls es dazu kommt. In Lyon hieß das Gasthaus auch Cheval-Blanc. Er denkt, es ist ein Zeichen.
    – Und du vermißt euer altes Leben nicht?
    Pascale schüttelte den Kopf.
    – Mir gefällt es hier. Ich fühle mich sicherer als in Lyon. Es war so voll, und lauter Leute, denen man nicht trauen konnte.
    – Ja, sicher ist es schon. Aber ich vermisse den Himmel, sagte Isabelle. Den offenen Himmel, durch den du ganz bis ans Ende der Welt sehen kannst. Hier engen die Berge den Himmel ein. Zu Hause öffneten sie ihn.
    – Ich vermisse die Kastanien, verkündete Marie und lehnte sich an ihre Mutter.
    Isabelle nickte.
    – Als wir sie immer hatten, habe ich nie darüber nachgedacht. Wie Wasser. Man denkt nicht über Wasser nach, bis man Durst hat und es keines gibt.
    – Aber da war auch Gefahr, zu Hause, nicht?
    – Ja. Sie schluckte, als sie sich an den Geruch brennenden Fleisches erinnerte. Diese Erinnerung teilte sie nicht mit.
    – Ihre runden Hauben sind lustig, findest du nicht? sagte sie statt dessen und zeigte auf eine Gruppe von Frauen. Kannst du dir vorstellen, eine über deinem Kopftuch zu tragen?
    Sie lachten.
    – Vielleicht werden wir sie eines Tages tragen, und Neuankömmlinge werden über uns lachen, fügte Isabelle hinzu.
    Aus der Menge donnerte Gaspards Stimme herüber: – Soldaten! Ich kann euch ein paar Geschichten über katholische Soldaten erzählen, die euch die Haare zu Berge stehen lassen!
    Pascales Lächeln verschwand. Sie sah zu Boden, ihr Körper versteifte sich, ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Sie hatte nie über ihre Flucht gesprochen, aber Isabelle hatte Gaspard schon mehrmals in allen Einzelheiten davon erzählen hören, wie auch jetzt.
    – Als die Katholiken von dem Massaker in Paris hörten, sind sie verrückt geworden, und sie sind zum Gasthof gekommen und wollten uns in Stücke reißen, erklärte Gaspard. Lauter Soldaten stürmten herein, und ich dachte: Die einzige Möglichkeit, uns zu retten, ist, den Wein zu opfern. Also bot ich ihnen allen schnell Wein umsonst an. Aux frais de la maison! rief ich ununterbrochen. Na, das brachte sie zur Ruhe. Man weiß ja, die Katholiken, die sind für ein Gläschen immer zu haben! Dadurch hatten wir immer gutes Geschäft. Bald waren sie so betrunken, daß sie vergessen hatten, weshalb sie gekommen waren, und während Pascale sie ablenkte, packte ich einfach alles, was wir hatten,

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