Das dunkle Erbe
anderen Teilen des Porzellanservice ab.
»Schauen Sie auf den Boden. Bei Zuckerdosen macht man das nicht, aus Angst, etwas zu verschütten. Tun Sie es trotzdem.«
Sharon drehte die Dose um. Zucker rieselte auf den Tisch. Raupach beugte sich herüber.
»Geschenk des Führers« stand da über einem Reichsadler mit Hakenkreuz. Links und rechts von dem Hakenkreuz befanden sich zwei Buchstaben. Die Initialen A und H. Adolf Hitler.
»Und das benutzen Sie einfach so im Alltag?«, fragte Raupach.
»Hin und wieder, ich habe damit keine Probleme. Es ist eines der wenigen Erinnerungsstücke an meinen Vater.« Marsh lächelte. »Und ich kann Ihnen versichern, dass er diese Zuckerdose nicht von Hitler geschenkt bekam. Britische Generäle, die Nazideutschland vom ersten Tag an bekämpften, zählten nicht zu den Lieblingen des Führers.«
»Das stammt aus Hitlers eigenen Beständen«, sagte Sharon. »So etwas erhielten nur engste Mitarbeiter. Alte Kampfgenossen. Freunde.«
»Wie mein Vater da herankam, weiß ich nicht«, erklärte Marsh weiter. »Die Zuckerdose gehörte ursprünglich zu einem ganzen Service. Ich habe es vor ein paar Jahren verkauft, als ich wieder darüber gestolpert bin. Mit bestimmten Dingen sollte man es nicht übertreiben. Die anderen Teile wiesen auf dem Boden alle die gleiche Kennzeichnung auf.«
»Das bringt uns nicht weiter.« Raupach war enttäuscht. »Im Gegensatz zu dem Ring fehlt eine persönliche Widmung.«
»Besaßen Sie das komplette Service?«, fragte Sharon.
»Tassen, Untertassen, Milchkännchen«, sagte Marsh.
»Und die Kanne?«
»Die fehlte von Anfang an.«
Sharon wog die Zuckerdose in der Hand. »Ich könnte mir vorstellen, dass die Kanne mit einer persönlichen Widmung versehen war, quasi als Prunkstück des Service, das machte man häufig so. Wem haben Sie denn die anderen Stücke verkauft?«
»Der Käufer ist mir nicht bekannt, das hat ein Antiquitätenhändler für mich gemacht, gegen Provision. Er hat einen sehr guten Preis erzielt. Über zwanzigtausend Euro.«
»Geben Sie uns bitte die Adresse des Händlers.« Raupach stand auf. »Ich fürchte, Sie müssen sich von ihrer Zuckerdose trennen. Zumindest für eine Weile.«
DER ANTIQUITÄTENHÄNDLER hieß Golonka und hatte seinen Laden in Bad Godesberg. Es war schon nach sieben Uhr abends, aber er stellte noch seine Schaufensterdekoration um und öffnete auf Raupachs Klingeln. Es komme oft vor, dass Leute außerhalb der Geschäftszeiten etwas abholten oder vorbeibrachten. Wie er behilflich sein könne?
Raupach stellte sich und seine Begleiterinnen vor. Der Mann, Anfang sechzig, trug unter seinem dunklen Anzug eine schwarze Strickweste. Er sah aus wie ein Bestattungsunternehmer.
Golonka seufzte. Leider interessiere sich die Polizei in schöner Regelmäßigkeit für seine Ware, das sei in seinem Gewerbe unvermeidlich.
Photini machte ihm klar, worum es ging, und zeigte ihm die Zuckerdose. Ob er den Namen des Käufers in Erfahrung bringen könne.
Golonka rückte seine Hornbrille zurecht und seufzte erneut. Eigentlich sollte er die Finger von Zeug wie diesem lassen. Selten gingen die Geschäfte damit reibungslos vonstatten, viele Fälschungen seien auf dem Markt, früher oder später mache es immer Schwierigkeiten, wie Sauerkraut, erst gestern habe er wieder welches gegessen, obwohl er es nicht vertrug, fatal für seine Verdauung, aber er könne einfach nicht daran vorbeigehen. Die halbe Nacht habe er auf der Toilette verbracht. Immer wenn er gedacht habe, es sei vorbei, hätten ihn neue Blähungen geplagt, wie ein Fesselballon habe er sich gefühlt.
Probleme mit Magen und Darm dürfe man nicht auf die leichte Schulter nehmen, meinte Sharon.
Er müsse es mal mit süßem Tee und einer Salzlösung probieren, schlug Photini vor.
Raupach grinste, Heide verstand nur Bahnhof.
Ihm helfe in solchen Fällen Calcium, in Form von Brausetabletten, meinte Golonka. Aber er habe schon in seinem Horoskop gelesen, dass er Bauchschmerzen bekommen würde, man müsse das durchstehen.
Schließlich schlug er in seinem Verzeichnis nach. Das Hitler-Service von Kenneth Marsh, ja, daran könne er sich erinnern. Marsh sei ein guter Kunde, er kaufe alte Weinbestände, aus Kellerauflösungen, auch Einzelflaschen bedeutender Jahrgänge. Diese Nazisouvenirs aus seiner Hand, so Golonka, hätten ihn überrascht. Dergleichen sei extrem selten, bei einer Versteigerung löse es ein zweideutiges Aufsehen aus, eine Mischung aus Bestürzung und
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