Das dunkle Erbe
ist, wie wenn Eastwood am Ende des Films sagt, he, ihr armen Siedler, ich wollte euch gar nicht helfen. Zieht euch jetzt mal alle bis auf die Unterhosen aus und liefert eure Sparstrümpfe ab. Und dem Mädchen, das ihn angehimmelt hat, rät er, es mal im nächsten Saloon zu versuchen.«
»Und jetzt traust du niemandem mehr«, sagte Raupach. »Nicht mal dir selbst.«
»Ja.«
»Du hast es überstanden, Heide. Ich werde dir das so oft sagen, wie du möchtest. Es ist vorbei. Du musst etwas Neues an die Stelle von Mister Eastwood setzen.«
»In den nächsten Saloon gehen?«
»Außerdem braucht es gar nicht zu stimmen, dass Paul dich nur ausgehorcht hat. Ich meine, du bist Hauptkommissarin, und er war nur bei der Streife. Vielleicht wollte er etwas beweisen? Dass auch ein einfacher Bulle für Recht und Ordnung sorgen kann?«
»Dann wäre er ziemlich simpel gestrickt.«
»Das sind die meisten Eastwood-Figuren auch«, sagte Raupach.
»Minderwertigkeitskomplex?«
»Irgendwas müssen die immer kompensieren. Deswegen stehen die Leute drauf.«
»So hab ich’s noch gar nicht betrachtet.«
Sie erreichten die Klinik. Raupach bezahlte.
»Wenn Sie wieder mal ein Taxi brauchen, hier ist meine Karte«, sagte der Fahrer. »Ich persönlich ziehe ja eher die Gegenspieler von Eastwood vor, Lee van Cleef, Eli Wallach, diese Höllenhunde. Solche Kerle gibt’s heute nicht mehr.«
»Man muss nur lange genug suchen«, meinte Heide.
SIE ZOGEN ihr Abendessen aus einem Snack-Automaten. Schinkensandwiches, die waren länger haltbar als welche mit Thunfisch. Dazu Wasser aus einem großen Spender am Eingang. Raupach brachte die jüngeren Filme von Clint Eastwood zur Sprache, in denen er sich menschlicher zeigte. Heide kannte nur die alten. Sie beschlossen, demnächst mal wieder zusammen ins Kino zu gehen.
Heide blieb im Foyer. Raupach ging zur onkologischen Abteilung und gab den Zahlencode ein. Auf dem Gang traf er die Pflegerin mit dem Pferdeschwanz. Felix sei inzwischen auf den Intensivbereich verlegt worden. Es sehe schlecht aus.
Raupach brachte die aseptische Schleuse hinter sich. Er konnte nicht fassen, wie schnell sich sein Freund in den letzten paar Tagen verändert hatte. Sein Gesicht war gelb, fleckig, eingefallen. Anscheinend besaß der Körper keine Reserven mehr.
Felix’ Schwester Katja war da, froh, dass Raupach sie für eine Weile ablöste. Dann konnte sie duschen und schnell noch ein paar Sachen einkaufen. Sie lebte in Karlsruhe, Raupach verstand sich gut mit ihr, seit seiner Kindheit, als sie sich noch mit dem Gartenschlauch über die Terrasse gejagt hatten. Katja war das genaue Gegenteil einer Filmfigur: weich, immer besorgt und ein Muster an Verantwortung. Äußerlich war sie ihrem Bruder sehr ähnlich. Sie nahm ihre Umhängetasche und verließ das Krankenzimmer.
»Hallo«, sagte Raupach zur Begrüßung.
Felix öffnete die Augen. »Klex?«
»Tut mir leid, dass ich nicht früher kommen konnte.«
Felix bediente die Fernsteuerung, das Kopfteil des Bettes fuhr nach oben. »Andra moi … Schön, dass du da bist.«
»Die Mörder lassen mir keine Ruhe.«
»Du fängst sie schon. Hast du immer getan.«
»Meistens.«
»Dann lass mal hören«, forderte Felix ihn auf.
»Wirklich?«
»Über mich gibt’s nicht viel zu sagen. Ich hab das Morphium runtergefahren, damit ich nicht ständig wegdämmere. Ich kann das selbst dosieren.« Er wies auf die Anzeige an einem der Schläuche. »Das ist alles. Ich mag nicht bis zum Ende über diese Krankheit reden.«
»Also gut.« Raupach erzählte, wie sich der Fall entwickelt hatte. Mehr als einmal fragte er nach, ob Felix das Ganze wirklich interessiere, aber sein Freund wollte alles wissen. Hörte aufmerksam zu, es war eine willkommene Abwechslung.
»Vertrackt«, sagte Felix schließlich. »Aber diese Nazigeschichten kommen irgendwann alle heraus. Leider eher später als früher. Woran das wohl liegt?«
»Unterschätze nicht den Einfluss, den die Kriegsgeneration in der alten Bundesrepublik hatte«, meinte Raupach. »Ein Großteil wollte nicht so genau hinschauen. Und als die Achtundsechziger dann den Finger auf die Wunde legten, wurde das als linkes Protestlertum heruntergespielt.«
»Weißt du noch, wie der alte Bundestag in Bonn aussah? Diese schwarzen Planken mit den Nieten? Wie im Tresorraum einer Bank.«
»Springmann und Wenzel sind Einzelschicksale. Jahrzehntelang hat sich niemand mit ihnen beschäftigt, weil sie nicht prominent genug waren, zu wenig
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