Das dunkle Erbe
und Sharon den Dienstwagen. Die beiden Frauen fühlten sich ausgeschlossen, jede auf ihre Weise, aber Raupach wünschte keine weiteren Diskussionen. Er winkte ein Taxi heran, stieg mit Heide ein, sie fuhren los.
Der Fahrer fing ein Gespräch an. Heide sagte, sie seien Polizisten und dächten gerade über einen schwierigen Fall nach. Der Mann entschuldigte sich für die Störung.
Über den Dächern von Bad Godesberg verschwand die Sonne, der Himmel war tiefblau. Raupach versuchte sich ein wenig zu entspannen. Er ignorierte seinen knurrenden Magen. Ließ die Stadt an sich vorbeiziehen, all die repräsentativen, leer und unbelebt wirkenden Bundesgebäude entlang der Allee, die ins Zentrum zurückführte. In seiner Jugend war Bonn noch Hauptstadt gewesen, ein nüchterner, gänzlich unaufgeregter Regierungssitz, von dem man in den Nachrichten immer nur die offizielle Seite gesehen hatte.
Schließlich schaute er zu Heide. »Worüber möchtest du reden?«
»Ich weiß nicht, Klemens. Ich wollte nur nicht, dass du da hingehst ohne jemanden, der dich … ein bisschen kennt.« Sie lächelte, ohne Ironie, wie sie hoffte. »Solche Besuche können einem an die Nieren gehen.«
»Ich muss mich nicht dazu zwingen. Es ist eine tiefgreifende Erfahrung. Mit überraschend vielen schönen Momenten.«
»Tatsächlich?«
»Leukämie hat auch ein Gutes: Die Patienten bleiben bei der Behandlung einigermaßen klar im Kopf.«
»Ein schwacher Trost.«
»Jeder geht natürlich anders mit der Krankheit um. Felix versucht, das Beste daraus zu machen. So nah wie in diesen Tagen sind wir uns noch nie gekommen.«
»Ich fand es im Krankenhaus entsetzlich«, sagte Heide. »Vor allem dass ich nicht mehr richtig sprechen konnte, das war beängstigend. Hat mir einen gehörigen Dämpfer verpasst.«
»Wäre wohl jedem so gegangen. Ich kenne eine Menge Polizisten, die zuerst mal zwei Wochen krankgemacht hätten.«
»Nett, dass du das sagst.«
»Du hast dich schnell wieder gefangen. Mit Hilfe von Clint Eastwood, wie?«
»Ach, diese alten Filme. Zu irgendwas müssen sie ja nütze sein.« Sie blickte aus dem Fenster. »Die Männer, die Eastwood spielt, sind immer so überzeugt von dem, was sie tun.«
Raupach überlegte. »Das macht sie stark.«
»Aber eigentlich sind sie zu bedauern. Sie müssen von den Menschen immer das Schlechteste annehmen.«
»Dadurch bleiben sie auf der Hut.«
»Das ist doch kein Leben.« Heide holte tief Luft. »Immer wieder hab ich die Augenblicke vor diesem Schlag durchgespielt. Wie ich die Treppe hochschlich und dieses Zimmer betrat, die letzten Schritte. Was ich hätte anders machen können? Die Zentrale verständigen, nicht allein reingehen, warten, bis der Gegner aus der Deckung kommt, sich nicht selber zur Zielscheibe machen?«
»Stimmt.«
»Als ob mir das nicht schon vorher klar gewesen wäre! Verdammt, Klemens, ich hab einfach vergessen, wie schnell alles vorbei sein kann.«
»Erschreckt es dich?« Raupach beschränkte sich darauf, Stichworte zu geben.
»Genauso geht’s mir mit Paul. Jeder Abend, wenn wir ausgingen, jede Fahrt auf dem Motorrad, jede Nacht mit ihm im Bett, das frisst sich noch durch meinen Kopf. Und dann legen sich die Bilder der Männer darüber, die er getötet hat. Weil er sich einbildete, etwas vollenden zu müssen, was andere angefangen hatten, aus nachvollziehbaren Gründen, aber das macht es nicht besser.« Sie schlug auf die Kopfstütze des Beifahrersitzes vor ihr. »Ich kann das einfach nicht abstellen.«
Raupach nickte.
»Ich hab mich so sicher gefühlt bei ihm«, fuhr Heide fort. »Jemand wie ich sagt das, stell dir vor! Und ich dachte, ich sei emanzipiert.« Sie lachte. »Aber seine ruhige Art, dieses Unbeirrbare, Kompromisslose, das hat mich einfach in den Bann geschlagen. Ich hatte mir schon ausgemalt, mit ihm zusammenzuleben.«
»Dafür brauchst du dich nicht zu rechtfertigen.«
»Paul war wie einer dieser Eastwood-Typen. Eine exakte Kopie. Das ist es, worüber ich nicht hinwegkomme.«
Langsam verstand Raupach, was Heide bewegte.
»Endlich, endlich läuft dir jemand über den Weg, wie du ihn dir immer vorgestellt hast«, sagte sie. »Dieser Kerl existiert wirklich. Er atmet, du kannst ihn berühren, ihn küssen. Und all das erleben, was du deinen Freunden nie zu erzählen wagtest, weil es so perfekt war.«
Sie ließ die Fensterscheibe herunter. Der Fahrtwind drang herein, erfrischend.
»Und dann erfährst du, dass er dich nur benutzt hat.« Heide ballte die Faust. »Das
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