Das dunkle Erbe
spektakulär. Da mussten erst die Erben kommen und Fragen stellen.«
»Die Enkel und Urenkel«, ergänzte Felix.
»Die haben den nötigen Abstand. Für Geschichtsforscher gilt das Gleiche.«
»Dieser Schatz hat jedenfalls das Potenzial, noch viel mehr Leute in Verlegenheit zu bringen als die wenigen, von denen ihr wisst. Würde mich nicht wundern, wenn ihr jemanden übersehen habt.«
»Wir haben einen Köder ausgelegt.« Raupach erzählte von der Zuckerdose. Es hörte sich aufregend an, aber auch ein wenig altbacken. Die Spezialeffekte fehlten.
»Bei so einer Aktion wäre ich gern mal dabei«, sagte Felix. »Wie ist das? Packt dich da das Jagdfieber?«
Raupach überlegte. »Entdeckerlust, würde ich sagen.« Er wechselte behutsam das Thema. »Wie in Schottland damals. Wir hatten nicht mal eine vernünftige Landkarte.«
»Diese beiden Jungs sind einfach drauflosmarschiert. Ich sehe sie dauernd vor mir, Klex. Wie schwer ihre Rucksäcke damals waren wegen der Dosen, die sie dabeihatten, Baked Beans. Corned Beef. Und das Zelt wog auch eine Tonne, mit all den Stangen und Heringen. Heute ist das alles federleicht.«
»Es gab seither viele technische Neuerungen.«
»Die Leute meinen, das, was man in der Jugend tut, zähle nicht so richtig. Ich denke, genau darauf kommt es an. Wenn du bestimmte Dinge zum ersten Mal machst. Wie du sie machst. Das haben wir uns damals gar nicht richtig überlegt.«
»Was würdest du denn anders machen?«
Felix wollte etwas erwidern, hielt dann aber inne und starrte auf das Fußende des Bettes.
Raupach hatte einen Einfall. »Stört es dich, wenn ich eine Kollegin hereinbitte?«, fragte er.
»Hast du jemanden mitgebracht?«
»Sie wartet im Foyer.«
»Du schaffst es, mich zu überraschen«, sagte Felix.
»Das mit Sharon, der Journalistin, hat sich übrigens zerschlagen«, meinte Raupach.
»So?«
»Ist nicht so wichtig. Du hast mir ja geraten, vorsichtig zu sein.«
»Hab ich das?«
Raupach holte Heide. Sie sträubte sich, gab dann nach. Das Desinfizieren machte sie nervös. Als sie sah, in welchem Zustand Felix war, wäre sie am liebsten umgekehrt.
»Sie sind also das Techtelmechtel, von dem Klemens immer noch schwärmt.« Felix sah keinen Anlass, um den heißen Brei herumzureden.
» Was tue ich?«, fragte Raupach.
»Wie lange ist das her?«, wollte Felix wissen.
»Elf Jahre«, erwiderte Heide.
»Wie lang waren Sie beide damals zusammen?«
»Drei Monate. Und ein paar Tage.«
»Das hat sich aber gut eingeprägt.« Felix lächelte. »Und wie haben sie Ihnen gefallen, diese drei Monate und ein paar Tage?«
Heide stutzte. »Einen Versuch war’s wert, aber …«
»Nichts aber«, widersprach Felix. »Beziehungen unter Kollegen gehen schnell mal in die Brüche. Was spricht dagegen, sie wiederauflebenlassen?«
Heide lachte. »Wie käme ich dazu?«
»Sie haben vor irgendetwas Angst«, sagte Felix.
»Kann sein.«
»Nun, mit Klemens haben Sie einen Mann, der Ängste beseitigt. Darin ist er ein Naturtalent. Sehen Sie mich an: Bei mir fällt bald der Vorhang. Aber dieser Kerl dort gibt Ihnen das Gefühl, dass Sie noch jung sind. Er drängt Ihnen seine Erinnerungen so lange auf, bis Ihnen selber welche einfallen. Dann kriegen Sie einen Geschmack davon, wie das Leben ist. Wie es war, sein könnte. Sie kosten es durch, das große und das kleine Glück, und die Angst ist wie weggeblasen.«
»Welche Medikamente bekommen Sie?«, fragte Heide.
»Nur so viel, dass ich nach wie vor weiß, wovon ich rede. In meiner Situation ist das wichtig.«
»Haben Sie keine Angst?«
»Genau das will ich Ihnen ja erklären. An einem Beispiel.« Felix griff nach seinem Bronchialspray und verabreichte sich eine Dosis. Er hielt kurz die Luft an, dann sprach er weiter. »Also, Klemens und ich fuhren nach Norderney. Ist schon ein paar Jahre her. Keine Ahnung, warum wir uns gerade diese Insel aussuchten. Soweit ich weiß, machte Raupachs Großvater dort vor einer Ewigkeit Urlaub. Bisschen Nordseeluft schnuppern, bevor die Nazis ihn verheizten. So weit alles klar?«
»Ja.«
»Wir spazierten also über die Insel. Die hatten da alles, Strandkörbe, einen Leuchtturm. Nach einer Weile kamen wir am Flugplatz vorbei. Das war nur eine größere Wiese mit einer Rollbahn. Klemens wollte einen Rundflug machen.«
»Na und?«
»Ich hatte Flugangst. Ich wollte nicht.«
»Sie und Flugangst?«, wunderte sich Heide.
»Lag wohl an dem Stress damals in der Firma. Klemens hat mich überredet. Wir stiegen in dieses
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