Das dunkle Erbe
erinnern. Dann kamen weitere Briefe aus Amerika, Eva zeigte mir alle. Ich gab Hornung Bescheid. Sein Plan, durch den Kellerumbau an den Schatz zu gelangen, geriet in Gefahr. Er begann, sich etwas anderes zu überlegen, diese Sache mit dem Tunnel. Wir waren handelseinig: Ich sollte die Hitler-Geschenke bekommen und Hornung den Rest, daran lag mir nichts.«
Viktoria räusperte sich, sie war heiser vom vielen Reden. »Am letzten Freitag besuchte mich Eva dann.«
»Um wie viel Uhr?«
»Gegen halb drei. Sie hatte sich dazu durchgerungen, an die Öffentlichkeit zu gehen und eine offizielle Untersuchung im Keller zu erwirken. Ich versuchte sie umzustimmen, aber sie ließ nicht mit sich reden. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte sie sehr starrsinnig sein. Also ging ich kurz raus und rief sofort Hornung an, vielleicht konnte er sie überreden, noch eine Weile zu warten.«
»Warum haben Sie Eva nicht einfach reinen Wein eingeschenkt?«, fragte Raupach. »Über diese Geschenke, die Heinrich erhalten hat?«
»Das konnte ich nicht. Ich ging doch davon aus, dass Eva alle Nazis ausnahmslos verurteilte, auch die Nutznießer und Kollaborateure, gerade die. Es wäre mir wie Verrat an Heinrich vorgekommen.« Sie schüttelte den Kopf. »Jedenfalls unterhielten wir uns weiter. Dieser Schatz, unsere Kindheit, das brachte eine Menge Erinnerungen hoch. Schließlich sprachen wir über Heinrich, das heißt, Eva sprach über ihn, ich hörte zu. Ich traute meinen Ohren nicht: Sie beichtete mir ihr Verhältnis mit Heinrich. Es hatte schon in Köln angefangen, er bekam Skrupel, aber Eva ließ nicht locker. Sie reiste ihm nach Südfrankreich hinterher, 1963. Es flammte für ein paar Tage auf, dann besann sich Heinrich und bat sie, wieder heimzufahren. Sie stritten sich, hatten getrunken. Er stieg in seinen Wagen und wollte sich ein Hotelzimmer für die Nacht suchen. Dabei passierte der Unfall.«
Viktoria schwieg eine Weile. Suchte nach Erklärungen. »Seither fühlte Eva sich schuldig an Heinrichs Tod. Aber sie sagte mir nie etwas darüber, genauso wie Gustav. Zum Ausgleich weihte er mich in diesen verfluchten Schatz ein.« Sie schaute zu Boden, presste die Worte hervor. »Alle haben mich hintergangen, verstehen Sie? Das war einfach zu viel für mich. Ich nahm das Messer, das kleine, das immer neben den Küchenkräutern liegt. Und dann stach ich zu. Aber ich hab sie nur verletzt, am Hals, das müssen Sie mir glauben. Sie lebte noch, konnte nicht mehr sprechen, sie röchelte, begriff nicht, was ihr da widerfuhr. Es war furchtbar. Dann kam Hornung dazu. Er hatte uns schon länger von draußen belauscht. Er brachte Eva um, mit so einem Werkzeugmesser, das er dabeihatte. Um es abzukürzen, wie er sich ausdrückte.«
Sie schaute wieder hoch. »So, jetzt wissen Sie es.«
Raupach wartete kurz. »Und weiter?«
Nun, da es heraus war, fiel ihr das Sprechen wieder leichter. »Hornung kümmerte sich um Evas Leiche, ich war unfähig, irgendetwas zu tun. Er wickelte sie in eine Gummiplane, die er aus seinem Lieferwagen holte, und brachte sie in meinen Keller.«
Genau wie Photini vermutet hatte, dachte Raupach. In einem kühlen Raum verlangsamte sich der Zersetzungsprozess. Deshalb waren sie immer davon ausgegangen, dass Eva das dritte Mordopfer war und nicht das erste.
»Dann ging Hornung in die Villa, um die Briefe zu vernichten«, sagte Viktoria Brehm. »Die mussten ja unbedingt verschwinden.«
»Befand sich zu diesem Zeitpunkt noch jemand drüben im Haus?«, fragte Raupach.
»Doktor Schwan war schon weg, zumindest stand sein Auto nicht mehr da. Freitagnachmittags hatten auch die Arzthelferinnen frei, Hornung hatte also freie Bahn.« Sie machte eine gewichtige Miene. »Aber dann fuhr Sophie Schwan mit ihrem Sportwagen vor.«
»Wann war das?«
»Um kurz vor vier. Sie tauchte in letzter Zeit öfter unvermittelt auf. Meistens unterhielt sie sich mit Hornung, über diesen Umbau, nehme ich an. Als sie die Villa betrat, ahnte ich, dass es Schwierigkeiten geben würde.«
»Warum?«
»Hornung trug noch seinen Overall. Er machte einen gehetzten Eindruck, der Mord steckte ihm in den Gliedern. Und da waren Blutspritzer auf seiner Brust, von Eva … Man roch es sogar. Frau Schwan hat das bestimmt bemerkt.«
»Wie ging es weiter?«, wollte Raupach wissen.
»Sophie Schwan blieb nicht lange, höchstens zehn Minuten. Dann verließ sie die Villa und fuhr davon. Es war ihr anzusehen, dass etwas nicht stimmte. Sie war aufgeregt, nervös,
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