Das dunkle Erbe
aufgefallen.«
»Und was tun wir jetzt?«
»Weiter mit ihm reden. Das will er ja.« Jakub schaute auf den Bildschirm. »Wir müssen das ausnutzen. In dem steckt noch eine ganze Menge. Es will heraus.«
»Dann stell ich dich ihm vor, damit er Vertrauen zu dir fasst, und du machst weiter. Ich geh nachher weg. Muss mich wieder um meine privaten Angelegenheiten kümmern.«
»Na ja …«
»Außerdem ist ein Wechsel nie verkehrt, egal, ob er gern mit mir spricht. Vernehmungen sind kein Wunschkonzert.«
»Heute Abend wollte ich mit meinen beiden Mädchen schwimmen gehen«, protestierte Jakub.
»Sind die nicht alt genug, um allein loszuziehen? Du verwöhnst sie.«
»Ehe ich mich versehe, sind Lisa und Ljudmilla Teenager. Dann verzichten sie dankend darauf, etwas mit ihrem alten Herrn zu unternehmen.«
»Ich muss ins Krankenhaus, Jakub. Du weißt doch, das duldet keinen Aufschub.«
»Wie geht’s deinem Freund?«
»Schlechter. Bitte tu mir den Gefallen.«
»Also gut, ich versuch’s.«
Sie schauten sich noch einige Szenen der Vernehmung an. Schwans Stimmungsschwankungen. Seine gelegentlichen Ausbrüche deuteten auf eine manisch-depressive Störung hin, allerdings nur, wenn man sie unbedingt erkennen wollte. Wer würde in so einer Lage nicht hin und wieder aus der Haut fahren oder einfach nur renitent sein? Es gab einige Anhaltspunkte. Sie wiesen in unterschiedliche Richtungen. Doch es war nichts Greifbares dabei.
WÄHRENDDESSEN BLIEB Bernhard Schwan stehen, wo er war, und schaute nach draußen. Er konnte sich gut vorstellen, dass der Kommissar hinter seinem Rücken über ihn sprach. Genau in diesem Moment.
Das Mietshaus auf der anderen Straßenseite. Endlos viele Stockwerke. Ein Termitenbau. Wer fühlte sich darin wohl?
Ein paar Leute machten sich auf ihren Balkonen zu schaffen. Eine junge Blondine zum Beispiel. Sie klappte einen Liegestuhl auf und wischte dann einen Tisch ab, machte ihn gründlich sauber für den Frühling. Beugte sich weit vor. Trotz der Entfernung konnte Schwan den herzförmigen Ausschnitt erkennen. Wo die Brüste einen Spalt freiließen, in dem man sich verlor, wenn man lange genug hinsah.
Er fragte sich, was die Frauen damit bezweckten, wenn sie in so einer Aufmachung herumliefen. Gesa hatte oft Pullis getragen, die ihre Rundungen zur Geltung brachten und entsprechende Einblicke eröffneten – ohne sich groß Gedanken darüber zu machen. Eine Form von Freiheit drückte sich darin aus, Sorglosigkeit. Sophie dagegen war aus Berechnung in ihre hautengen Kleider geschlüpft, immer etwas zu sommerlich für die Jahreszeit. Seht her, was euch entgeht, schien das zu heißen. Ihr dürft es anschauen, aber nicht berühren.
Bei seinen Patientinnen kam Schwan nicht selten in Verlegenheit. Die legten es manchmal darauf an, dass er sie halbnackt sah, zogen sich unaufgefordert aus, wenn er die Herztöne abhören wollte, trugen durchsichtige Unterwäsche aus dem Erotikkatalog. Dann bückten sie sich unter irgendwelchen Vorwänden, hoben etwas vom Boden auf, stützten sich an der Stuhllehne ab, während Schwan sich hinter seinem Computer verschanzte, wahllos Tasten drückte und diese Vorstellungen, die ja nur ihm galten, aus den Augenwinkeln verfolgte.
Jetzt fuhr sich die Frau auf dem Balkon mit dem Unterarm über die Stirn. Sie schwitzte aufgrund der körperlichen Anstrengung, Schwan meinte den süßsauren Geruch in der Nase zu spüren. Auch Gesa hatte etwas Jodhaltiges an sich gehabt nach einem langen Arbeitstag, ganz anders als die keimfreie, von teuren Düften umwölkte Sophie.
Die Brustwarzen zeichneten sich ganz deutlich unter dem T-Shirt-Stoff ab, wie aufgequollene Erbsen. Der Schweiß erzeugte eine Reibung zwischen der Haut und den Baumwollfasern. Man musste sich Erleichterung verschaffen, was die Frau auch tat, indem sie das Bündchen über der Brust dehnte und für einen Augenblick an sich herabsah, als überlegte sie, ob es nicht besser sei, die Arbeit zu unterbrechen, ein wenig Frieden zu finden von den Pflichten des Alltags und sich ihren eigenen Gedanken hinzugeben. Kam ihr der Liegestuhl nicht einladend vor?
Schwan blieb regungslos stehen und schaute weiter zu. Musste er auch wandern in finstrer Schlucht, er fürchtete kein Unheil.
PHOTINI ÜBERLEGTE einen Moment, ob sie es wie Raupach machen und Höttges fahren lassen sollte. Das Komplizierte meiden. Dann setzte sie sich selber ans Steuer. Zeit, um nachdenklich aus dem Fenster zu starren, würde sie noch haben, wenn sie mal
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