Das dunkle Erbe
onkologische Klinik durch den Haupteingang verließ, kam er sich vor wie ein Betrüger. Er konnte hier jederzeit weg, lebend und wohlauf Felix blieb zurück in seinem Hightech-Kerker.
Das Krankenhaus lag in Bonn. Raupach startete den Motor seines Leihwagens und machte sich an die Rückfahrt nach Köln. Er fühlte ein Stechen in der Nase. Das kam, wenn er sich eine Träne verkniff. Sein Handy klingelte.
DER KÖRPER einer Einundsechzigjährigen, die mehrere Tage in ihrem eigenen Blut gelegen hat, ist nicht ansehnlich. Ein Kriminaltechniker mit Mundschutz schlitzte den zähen Kunststoff auf. Die Polizisten beugten sich darüber wie Chirurgen, die ein selten diagnostiziertes Leiden begutachteten, eine Abnormität. Man hörte nur das Knacken der Zweige, wenn jemand sein Gewicht verlagerte, und unterdrückte Atemgeräusche. Sie schauten nicht lange hin.
Emrich hauchte in seine Hände und wandte sich ab. Höttges prägte sich alles ein und verschwand hinter einem Baum. Der Führer der Hundeführerstaffel kümmerte sich um seine Tiere, die waren immer eine Ablenkung. Effie Bongartz von der Kölner Spurensicherung untersuchte die Gummiplane, in die der Körper eingewickelt gewesen war. Clausing, der zuständige Gerichtsmediziner, legte den Schnitt an Eva von Barths Kehle frei und murmelte eine erste Einschätzung.
Photini hörte ihm kaum zu. Auf ihre Anweisung hatten sie die Leiche gefunden, nach drei Stunden vorsichtigen Herumstocherns im Wald, unter Flutlicht. Nach dem Fund des Kunststofffetzens hatte sie die Kölner Kollegen sofort verständigt, Emrich hatte eine Suchmannschaft aus Meschede anrücken lassen. Der Kommissar stellte wenig Fragen, obwohl sie ihm vermutlich auf der Zunge lagen.
Es ging auf Mitternacht zu. Photini empfand keine Genugtuung. Dass ihre Ahnung sich bewahrheitet hatte, war in gewisser Weise auch beängstigend.
Der Pensionswirt brachte eine weitere Fuhre Kaffee in Thermoskannen. Photini trank ihre Tasse in einem Zug leer. Dann kümmerte sie sich um Höttges. Er hatte sich unter den überhängenden Zweigen einer Tanne niedergelassen. Es war dunkel in diesem Bereich, abseits der Markierungen.
»Alles in Ordnung?«, fragte Photini.
»Hältst du mich jetzt für zartbesaitet?«
»Hast noch nicht viele Leichen gesehen, wie?«
»Solche nicht.«
Höttges putzte seine Brille. »Du hattest recht. Hast alles richtig gemacht.«
»Ist doch ganz normal«, gab Photini zurück.
»Du hast die Leiche gerochen. Ich kann das nicht. Ich hätte die Suche abgebrochen.«
»Viel Übung hab ich darin nicht. Bin nur meinen Instinkten gefolgt.«
»Bei mir tut sich da gar nichts.«
Sie half ihm hoch. Zwei Zentner an einem Mädchenarm. »Manchmal siehst du das Ziel einfach vor dir. Die Straße wird schmaler, Schritt für Schritt immer unwegsamer. Und dort, wo sie kaum noch begehbar ist, findest du das, was du suchst.«
»Im Unterholz.«
»Im hintersten Winkel.«
»Dort, wo ein Mörder nie wieder hinkommen möchte«, ergänzte Höttges.
»Vorausgesetzt, der Mörder hatte genug Zeit, sein Opfer verschwinden zu lassen. Vorausgesetzt, er hat ein Gewissen.«
»Die beiden anderen Leichen hat er nicht versteckt.«
Photini nickte. »Das sollte uns zu denken geben. Falls es derselbe Mörder war.«
»Schwan.«
»Wir müssen es ihm nachweisen. Bislang haben wir nur Indizien.«
Sie gingen zu den anderen zurück. Die Tote lag in einem Teil des Waldes, in den die Holzarbeiter noch nicht vorgedrungen waren.
»Die Frau wurde vermutlich am Freitag getötet«, sagte Clausing. »Genaueres kann ich im Labor sagen. Abgesehen von dem bogenförmigen Schnitt an der Kehle habe ich noch eine Stichwunde seitlich am Hals entdeckt. Vielleicht stammt sie von derselben Tatwaffe.«
Effie Bongartz ging davon aus, dass der Täter das mit Klebeband umwickelte Leichenbündel auf die Schulter geladen und den ganzen Weg vom Parkplatz neben dem Ferienhaus getragen hatte. »Die Ärztin wog höchstens fünfzig Kilo. Übrigens war sie vollständig bekleidet. Um Schuhspuren und alles Weitere kümmern wir uns morgen bei Tageslicht. Alle Kollegen müssen das Gelände jetzt verlassen.«
Die Polizisten setzten sich in Bewegung und ließen Effie und ihre Leute allein weiterarbeiten. Photini versuchte zum wiederholten Mal, Raupach zu erreichen, aber der ging nicht ran. Heide hatte ihr Gerät gar nicht eingeschaltet. Photini hinterließ jeweils eine Nachricht auf der Mailbox.
Die Pension war nur zur Hälfte belegt. Photini beschloss, für sich und
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