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Das dunkle Erbe

Das dunkle Erbe

Titel: Das dunkle Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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abgewiesen und die Beschuldigten von allen Vorwürfen freigesprochen.«
    »Wirklich?«
    »Außerdem sind manche Leute damals ehrlich geblieben. Nicht jeder Verdacht erweist sich als begründet.«
    »Das sagst du einer Polizistin?« Heide räusperte sich. »Hör zu, ich gebe dir jetzt einen Namen. Eva von Barth, eine Ärztin aus Marienburg.«
    »Marienburg? Hört sich nach einem heißen Eisen an. Und nach hohen Mauern.«
    »Könntest du die Frau wohl auf eine jüdische Vergangenheit überprüfen? Das wäre die Verbindung, nach der ich suche.«
    »Weißt du, wie spät es ist?«
    »Soll ich dir ausmalen, welche Story dabei für dich herausspringen könnte?«
    »Ich mach es aus purer Gefälligkeit. Das gehört nicht zu den Themen, über die wir normalerweise berichten. Aber wenn es etwas mit Köln zu tun hat …«
     
    SHARON SPRINGMAN verließ das »Boudon« um ein Uhr zwanzig. Sie trug eine robuste Jacke wie für einen Landausflug und hatte eine Baseballkappe tief ins Gesicht gezogen. Mit dem Rücken zu Heide stieg sie in einen Mercedes, aufgrund des Hamburger Kennzeichens möglicherweise ein Mietwagen, und fuhr los.
    Heide hielt den nötigen Abstand. Sie hatte sich mit Tee aus der nächsten Pizzeria wachgehalten, extra stark, wie sie dem jungen Türken mehrmals eingeschärft hatte.
    Wo wollte die Frau hin? Was verheimlichte sie? Sharon war Heide nicht direkt unsympathisch, obwohl sie die Ermittlung durch ihre ablehnende Haltung behinderte. Vielleicht musste das so sein. Journalisten und Polizisten waren selten Freunde, eher Konkurrenten bei der Suche nach dem Unerwarteten. Geben und Nehmen, sie bildeten eine Zweckgemeinschaft, wenn überhaupt.
    Eva von Barth war für Sharon Springman so etwas wie eine Informantin, überlegte Heide. Aber wer hatte hier wen kontaktiert? Die Ärztin interessierte sich in letzter Zeit für jüdische Kultur. Tat sie das von sich aus oder aufgrund eines äußeren Anstoßes?
    Die Straßen waren wie ausgestorben. Heide mochte es, nach Mitternacht durch Köln zu fahren. Auf dem Ring kam man zügig voran. Dann in die Bonner Straße und durch Bayenthal. Bald schon waren sie in der Gegend der Ärztevilla angelangt.
    Sharon Springman parkte ihren Wagen ein Stück weiter vorn, an der nächsten Einmündung. Heide überholte und bog mehrmals ab, bis sie mit ausgeschalteten Scheinwerfern in der Mehlemer Straße zum Stehen kam.
    Als sie die Villa erreichte, befand sich die Amerikanerin schon auf dem Grundstück. Das schmiedeeiserne Eingangstor war nur angelehnt, offenbar hatte das altertümliche Schloss nur kurz widerstanden.
    Bei der Haustür brauchte Sharon Springman länger. Sie hantierte mit einem Schlüsselbund, probierte eine Weile herum. Die Außenbeleuchtung war abgeschaltet, von den Straßenlaternen drangen nur ein paar Lichtfäden herüber.
    Schließlich gelang es ihr, die Tür zu öffnen. Sie schlüpfte ins Innere.
    Heide ließ einige Sekunden verstreichen, gab Sharon einen Vorsprung. Dann folgte sie ihr.
    Im Dunkeln wirkte das Haus wie ein einziger Hohlraum. Als habe eine unbekannte Hand die gesamte Einrichtung entfernt und nur die Grundmauern und ein fernes Dach stehenlassen.
    Da kein Mond schien, schälten sich kaum Konturen aus der tintenschweren Masse. Selbst das Schachbrettmuster der Bodenfliesen blieb verschwommen wie in einem Traum, an den man sich nach dem Aufwachen nur mit Mühe erinnert.
    Nach und nach stellte sich ein Gefühl für Begrenzungen ein: das Treppenhaus, die Empfangstheke, Türen zu den Behandlungsräumen. Die einzigen Geräusche stammten von einer Standuhr, die ihr Ticken tropfenweise durch die Gänge sandte, und einer Stufe, die leise knackte, ob aus Zufall oder weil jemand sie vor kurzem betreten hatte, war schwer zu sagen.
    Alte Gebäude hatten ihre Launen. Mal waren sie ein offenes Buch, ein Dokument, für jeden Betrachter zugänglich, an festen Stunden zu besichtigen, Speicher einer umgestülpten Zeit. Dann wieder ließen sie nicht das Geringste von außen eindringen, schlossen sich wie eine Blüte bei Nacht und verströmten Reste eines seltenen, nicht mehr genau zu benennenden Duftes.
    Wer sich in so einem Bild der Vergangenheit bewegte, wurde darin leicht zu einer Figur. Heide stellte sich unwillkürlich vor, was sich in der Villa seit Kriegsende zugetragen haben mochte. Der Ätherrausch einer hochschwangeren Frau, die hier einst ein Kind geboren hatte. Die Anspannung von Teenagern, die nicht wussten, was bei der ersten Untersuchung auf sie zukam, ihre Scham.

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