Das dunkle Fenster (German Edition)
Nikolaj. „Ein lauter Atemzug und du bist tot.“ Der Italiener versteifte sich. „Das hier ist deine beste Chance“, fügte er hinzu, „am Leben zu bleiben.“ Er legte einen Finger auf die Lippen. Für Minuten waren Atemzüge das einzige Geräusch in der Kammer. Die Schritte draußen entfernten sich, die Stimmen verhallten. „Also noch mal“, sagte Nikolaj. „Wie war das mit München?“
„Es war Viktors Idee.“
„Wieso musstest du ihn überhaupt fragen?“
„Er hatte mich kurz vorher angerufen. Vielleicht eine Viertelstunde vor deinem Anruf. Er sagte, dass in Berlin was schief gegangen ist. Dass du dich vielleicht bei mir melden würdest und dann sollte ich ihn anrufen.“
„Und das hast du getan.“
„Ja.“ Francesco bewegte vorsichtig die Hände, die er noch immer hinter dem Nacken verschränkt hielt. „Kann ich“, er stockte, „kann ich sie runter nehmen, bitte?“
Nikolaj nickte.
Francesco redete hastig weiter. „Ich habe ihn angerufen und er sagte mir, ich solle mich da raus halten. Das wäre nicht mehr meine Sache. Er sagte, dass er sich um alles kümmern würde.“
Nikolaj glaubte das sogar. Francesco war kein Kämpfer, war es nie gewesen. Er konnte schlau und gerissen sein, aber wenn sich Ärger andeutete, dann zog er sich zurück und überließ anderen das Feld. So waren auch ihre Geschäfte damals gelaufen. Francesco war ein Händler; er fädelte die Deals ein und plante die Routen. Aber wenn es nicht glatt lief, übernahmen Viktors Leute den Job.
„Kannst du mir sagen, warum Viktor mich auf einmal loswerden wollte?“
„Aber ich weiß es nicht.“
„Und du hast ihn auch nie danach gefragt. Du bist ein wahrer Freund, Francesco.“
„Oh Gott“, stöhnte Francesco, „du weißt, wie Viktor sein kann. Ich wollte mir die Finger nicht verbrennen.“ Er wischte sich über das Gesicht. „Ich habe gehört, dass er Ärger mit seinen Kunden hatte, wegen Berlin. Weil danach die ganze Welt hinter dir her war und die Angst hatten, irgendjemand könnte dich erwischen. Die Polizei oder CIA oder sonst wer, und dann könntest du was ausplaudern.“
Nikolaj nickte erneut.
„Hör mal“, sagte Francesco, „ich wollte damit nichts zu tun haben. Ich meine, ich habe nichts gegen dich, verstehst du? Okay“, er runzelte die Stirn, „wegen Anna hätten wir ein Hühnchen zu rupfen, aber das könnte man bestimmt unter Freunden regeln.“
„Wo ist Viktor jetzt?“
„Willst du ihn erschießen?“
„Zuerst will ich ihn finden.“
„Moskau ist ihm zu heiß geworden, nachdem er sich mit seinen Freunden im Kreml überworfen hat.“ Francescos Tonfall hatte sich geglättet, er stammelte nicht mehr. „Er lebt jetzt in Prag. Ich war mal dort, sein Haus ist eine Festung. Er war ja früher schon paranoid, aber inzwischen ...“ Er unterbrach sich, als Nikolaj eine Bewegung machte. Nervös musterte er die Beretta, aber als nichts weiter geschah, fuhr er fort. „Wusstest du, dass er Gregor hat umlegen lassen?“
„Nein.“ Ungläubig starrte Nikolaj ihn an.
„Es ist wahr“, sagte Francesco. „Angeblich wollte Gregor ihn beseitigen und seine Organisation übernehmen. Aber das kann ich mir nicht vorstellen. Ich glaube, Viktor hat sich was eingebildet.“
„Wie komme ich an ihn ran?“
Heftig stieß Francesco den Atem aus. „Ich kann dir eine Telefonnummer geben. Von Viktors Handy. Aber sag ihm bitte nicht, dass du sie von mir hast.“
„Machst du noch Geschäfte mit ihm?“
„Man muss irgendwie leben, oder nicht?“ Ein schiefes Grinsen huschte über sein Gesicht. „Ich behaupte nicht, dass es Spaß macht oder dass er mein bester Freund ist oder so was. Meistens habe ich eine Scheißangst vor ihm. Aber er liefert pünktlich und bezahlt immer seine Rechnungen.“
„Die Nummer?“
Francesco nannte ihm eine Ziffernfolge. Er stockte ein oder zwei Mal, aber dann nickte er, wie um sich selbst zu versichern, dass die Zahlen richtig waren.
„Wenn ich dich jetzt laufen lasse, könnten wir uns darauf einigen, dass wir dann quitt sind? Ich vergesse die Sache in München, und du kommst mir nicht wieder in die Quere.“
„Ich will keinen Ärger mit dir“, beteuerte Francesco. Die Anspannung in seinem Gesicht war wieder da. „Ich habe nichts gegen dich. Von mir aus kannst du gern deinen Krieg mit Viktor austragen. Ich werde mich da raushalten.“
Nikolaj sah Carmen an. „Leg die Taschenlampe aufs Regal und verschwinde“, sagte er.
Sie gehorchte. Lautlos öffnete sie die Tür,
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