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Das dunkle Fenster (German Edition)

Das dunkle Fenster (German Edition)

Titel: Das dunkle Fenster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Von unten drang Verkehrslärm herauf. Aus quäkenden Lautsprechern schallten die Gebetsrufe der Muezzine und mischten sich mit dem Autolärm unten auf der Straße. Rafiq Abou-Khalil stand vom Bett auf und schloss das Fenster. Er blieb noch einen Moment stehen und genoss die Wärme auf seinem Gesicht. Dankbar lauschte er der plötzlichen Stille.
    Dann wandte er sich vom Fenster ab und betrachtete die zerwühlten Kissen. Müßig fuhr er sich durch die Locken. Marina war schon vor Stunden gegangen, sie musste quer durch die Stadt zur Arbeit. Sie arbeitete als Sekretärin im Kulturreferat der Deutschen Botschaft. Rafiq hatte sie bei einem der unzähligen Empfänge kennengelernt, die zwingender Bestandteil des diplomatischen Umgangstons im Nahen Osten waren. Ausnahmsweise war sein Interesse an ihr jedoch nicht beruflich geprägt. Marina war ein kleines Licht im diplomatischen Außendienst ihres Landes. Nicht ausgeschlossen, dass sie ihm eines Tages doch noch einen Gefallen tun konnte, aber eigentlich rechnete Rafiq nicht damit.
    Er fand sie anziehend und unterhaltsam, genoss die gemeinsamen Nächte. Sie war verliebt in ihn, das schmeichelte seiner Eitelkeit. Allerdings – und das war etwas, das er sich nur ungern eingestand – hatte sie äußerlich große Ähnlichkeit mit Carmen. Tatsächlich war das der Hauptgrund gewesen, dass er sie auf diesem Botschaftsempfang zuerst angesprochen und dann zum Essen eingeladen hatte, um ihre Bekanntschaft schließlich im Schlafzimmer seiner luxuriösen Damaszener Wohnung zu vertiefen.
    Er zog es vor, sich zu versichern, dass Carmen ihn nicht mehr interessierte. Dass es ihm egal war, was sie tat und mit wem sie es tat. Sie war es gewesen, die ihre Beziehung nach sieben Jahren beendet hatte. Zugegeben, er hatte ihr genügend Gründe geliefert. Aber dass sie ihre Drohung tatsächlich wahr machen würde, hatte er sich nie vorstellen können. Sie war eine Konstante in seinem stürmischen Gefühlsleben gewesen. Und jetzt war sie verschwunden. Das lag inzwischen fast zwei Jahre zurück, aber Rafiq suchte immer noch nach Frauen, die ihr möglichst nahe kamen.
    Er trat an den Schrank und drapierte über seinem Oberarm frische Kleidung, dann machte er sich auf den Weg ins Bad. Rafiq hatte gehört, dass Carmen wieder in Europa arbeitete. Sie hatten nicht mehr miteinander geredet, seit die Strategen in Tel Aviv ihn zurück nach Damaskus beordert hatten. Er war mit der Aufgabe betraut worden, ein paar Leute ausfindig zu machen, die den Anschlag auf eine jüdische Synagoge in Holland geplant hatten.
    Im Zusammenhang mit früheren Aufträgen hatte er sich in Syrien die Identität eines Waffenhändlers mit ausgezeichneten internationalen Verbindungen aufgebaut. Eine Rolle, die es ihm erlaubte, sich auch längere Zeit außer Landes aufzuhalten, ohne dass jemand Fragen stellte. Als Nasser El-Ehdeni war er eine feste Größe in der gehobenen Gesellschaft von Damaskus. Sein Charme und seine Dollars öffneten Türen, die Außenstehenden verschlossen blieben. Fast beiläufig gelangte er auf diese Weise an Informationen, die andere sich teuer erkaufen mussten.
    Rafiq schätzte den luxuriösen Lebensstil, der Teil seiner Tarnung war. Er genoss ohne Reue und das verlieh seinem Auftreten Wahrhaftigkeit. Entspannt lächelte er sein Spiegelbild an. Ein blauschwarzer Bartschatten bedeckte Kinn und Wangen. Er wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser, dann drehte er sich um und öffnete die Hähne der Badewanne. Er hatte heute keine Verpflichtungen, seine Arbeit begann erst am frühen Abend. Ein syrischer Geschäftsmann hatte ihn zum Essen eingeladen. Ein Termin, auf den er lange hingearbeitet hatte. Er würde ohne feste Vorgaben in diese Begegnung gehen. Das war seiner Erfahrung nach die beste Vorgehensweise, um glaubwürdig zu erscheinen.
    Sein Handy klingelte. Er spielte mit dem Gedanken, es einfach zu ignorieren, entschied sich dann aber anders und nahm ab.
    „Guten Morgen“, sagte eine vertraute Stimme am anderen Ende. „Wir müssen uns treffen.“
    „Wann?“
    „So schnell wie möglich.“
    „Gut.“ Er warf einen Blick auf die Uhr. „Soll ich etwas arrangieren?“
    „Wir haben uns schon darum gekümmert“, sagte der Mann am Telefon. „Es ist ein Ticket reserviert, morgen früh sieben Uhr zwanzig, Air France.“
    Die Stimme des Mannes klang angespannt. Nach kurzem Zögern nickte Rafiq, auch wenn der andere das nicht sehen konnte.
    „Einverstanden“, sagte er und legte auf.
7 München |

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