Das dunkle Fenster (German Edition)
Deutschland
Carmen knöpfte ihre Jacke zu, während sie die Treppen der U-Bahn-Station am Rosenheimer Platz in München hinauf stieg. Sie überquerte eine Kreuzung und bog in die Fußgängerzone, die zum Orleansplatz und weiter bis zum Ostbahnhof führte. Ohne Eile betrachtete sie die Schaufensterauslagen. Sie kaufte sich zwei Paar Schuhe und einen leichten Pullover. Die Rechnungen zahlte sie mit ihrer Kreditkarte, die wie alle ihre Dokumente auf den Namen Barbara Niedermeyer ausgestellt war.
In einem Café am Weißenburger Platz suchte sie sich einen Tisch am Fenster und bestellte Milchkaffee und Croissants. Sie nahm sich eine der Zeitungen von der Auslage und studierte die Tagesnachrichten. Es war später Vormittag, und das Café war nicht besonders voll.
Carmen mochte die Gegend. Haidhausen war ein historisch gewachsenes Viertel mit gut erhaltenen Bürgerhäusern aus der Jahrhundertwende. Vor vielen Jahren hatte sie hier mal in einer WG gewohnt, Pariser Straße, zusammen mit zwei Psychologie-Studenten.
Aber das, dachte sie, war lange her, ein anderes Leben. Sie hielt sich erst seit einigen Tagen wieder in München auf. Barbara Niedermeyer arbeitete als freie Journalistin für eine Tourismuszeitschrift. Ausgedehnte Reisen waren Teil ihres Berufes, so dass die Nachbarn es nicht verwunderlich fanden, wenn ihre Wohnung immer wieder für längere Zeit leer stand. Auf ihren Visitenkarten war die Nummer ihrer Verlagsredaktion aufgedruckt. Wenn jemand sie wählte, erreichte er eine freundliche Dame, die ihm erklärte, dass Frau Niedermeyer derzeit auf Dienstreise sei, man ihr den Anruf aber ausrichten würde.
Der letzte Job in Berlin hatte sich viel länger hingezogen als geplant. Es war eine unangenehme Aufgabe gewesen, eine Affäre mit einem Mann anzufangen, um ihn anschließend erpressen zu können. Andererseits gab es Schlimmeres. Carmen trank ihren Kaffee aus und faltete die Zeitung zusammen. Dann winkte sie der Kellnerin, damit diese ihr die Rechnung brachte.
Als sie ihre Wohnung in der Silberhornstraße betrat, sah sie, dass das Lämpchen des Anrufbeantworters blinkte. Sie zog Mantel und Schuhe aus, warf die Einkaufstüten im Schlafzimmer auf das Bett und drückte dann auf Play.
„Hallo Süße“, sagte eine Männerstimme, „wenn du zu Hause bist, ruf doch mal an.“
Carmen löschte die Aufnahme, dann lehnte sie sich gegen die Wand und schloss kurz die Augen. Es war Teil eines Codes. Wie alles, was mit dem Dienst zu tun hatte.
Es gab komplette Protokolle darüber, wie man Nachrichten aller Art in harmloser Alltagskommunikation versteckte. Alles wurde in komplizierte Rituale verschlüsselt. Eine Vorgehensweise, die Carmen ihrem Naturell entsprechend eher als paranoid denn als notwendig empfand. Sie zog ihren Mantel wieder an. Das Protokoll sah vor, dass sie den Rückruf von einer Telefonzelle tätigen musste, und zwar nie zweimal hintereinander von der gleichen.
8 Beirut | Libanon
Als Rafiq auf dem Internationalen Flughafen in Beirut landete, holte ihn Lev Katzenbaum persönlich ab. Er wartete in der Ankunftshalle, ein hagerer Mann in einer verschrammten Lederjacke. Dunkle Schatten lagen unter seinen Augen. Zuviel Kaffee, zuviel durchgearbeitete Nächte, dachte Rafiq. Lev war ein Katsa, ein Agentenführer beim Mossad, und das seit vielen Jahren. Vielleicht war es einfach so, dass man eines Tages müde wurde von diesem Job und sich nicht wieder erholte.
Er stellte seine Tasche auf den Boden und schüttelte Lev die Hand.
„Du siehst schlecht aus.“
„Ist das so?“ Lev versuchte ein halbes Lächeln.
Sie fuhren mit den Aufzügen hinunter zum Parkdeck. Katzenbaum bezahlte das Ticket, dann liefen sie die Reihe bis ganz nach hinten, wo er seinen Wagen abgestellt hatte, einen alten Renault.
„Nett“, kommentierte Rafiq. Er warf seine Tasche auf den Rücksitz und stieg auf der Beifahrerseite ein. Das Auto roch nach staubigen Polstern und Scheibenreiniger.
„Offiziell sind wir natürlich nicht hier“, sagte Lev. „Sie würden uns sofort verhaften. Also mischen wir uns unauffällig unters Volk.“
Er ließ den Motor an und schob sich rückwärts aus der Parklücke. Während er die Autoreihe hinunterrollte, nahm er eine Hand vom Lenkrad und suchte nach seinen Zigaretten. Beiläufig hielt er Rafiq die Packung hin. „Willst du eine?“
„Danke, hab aufgehört.“
„Mal wieder?“ Katzenbaum hob eine Augenbraue. Er legte die Schachtel auf die Mittelkonsole und zündete sich die Zigarette
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